Friedrichshafen & Oberschwaben

Altdorfer Wald: Wo Mönche Kanäle gruben und eine Räuberbande ihr Unwesen trieb

82 Quadratkilometer Wald, über 250 Quellen und ein mittelalterliches Kanalsystem, das älter ist als die meisten deutschen Städte. Der Altdorfer Wald nordöstlich von Ravensburg zählt nicht ohne Grund zu den bedeutendsten Waldgebieten Oberschwabens – hier verschmelzen Naturschutz, Forstwirtschaft und jahrhundertealte Geschichte zu einer Landschaft, die du auf ganz eigene Weise entdecken kannst.

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Zwischenablage

Zwischen Aulendorf, Wolfegg und Weingarten erstreckt sich der Altdorfer Wald über gut 8.000 Hektar – die Einheimischen nennen ihn liebevoll "Alti". Der Name geht zurück auf die welfische Grafschaft Altdorf oder auf die Stadt Weingarten, die bis 1865 Altdorf hieß. Mit seiner Fläche von etwa 82 Quadratkilometern ist er das größte zusammenhängende Waldgebiet Oberschwabens und nach dem Schwarzwald das zweitgrößte in ganz Baden-Württemberg.

Die höchste Erhebung findest du im Südteil des Waldes bei Neuwaldburg mit knapp 777 Metern, während der niedrigste Punkt im Schussental bei Mochenwangen auf etwa 450 Meter liegt. Das ergibt einen Höhenunterschied von über 320 Metern – für oberschwäbische Verhältnisse durchaus beachtlich. Der Altdorfer Wald kam um 1191 aus welfischem Besitz an die Staufer, nach deren Aussterben Mitte des 13. Jahrhunderts wurde er Reichsbesitz der Landvogtei Oberschwaben.

Rechtlich war der Wald jahrhundertelang dreigeteilt: Es gab "gemeinen" Wald im gemeinschaftlichen Eigentum, "sonderbare" Forste im Besitz der Stadt Ravensburg sowie weitere Waldstücke des Hauses Waldburg und des Klosters Baindt. Heute teilt sich das Waldgebiet in Staats- und Kommunalwald sowie Privatwald auf, wobei das Fürstliche Haus Waldburg-Wolfegg den größten privaten Anteil besitzt.

Der Stille Bach – eine ingenieurstechnische Meisterleistung aus dem Mittelalter

Das Gewässernetz des Stillen Bachs gehört zu den ältesten Kanalsystemen in Deutschland und wurde von Benediktinermönchen im Mittelalter zur Wasserversorgung des Klosters Weingarten angelegt. Was die Mönche da zwischen dem 11. und 17. Jahrhundert schufen, ist aus heutiger Sicht kaum zu glauben: Ein verzweigtes System aus zehn Kanälen und etwa 20 Weihern, das sich über 25 Quadratkilometer erstreckt.

Die Hauptbauzeit erstreckte sich über mehr als ein halbes Jahrtausend. Der Stille Bach musste mit minimalem Gefälle angelegt werden, um Hügel und Senken zu umfließen und wartungsintensive Aquädukte zu vermeiden – eine bei den im Mittelalter zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln äußerst aufwändige ingenieurstechnische Meisterleistung. Die Trassenführung erinnert an ähnliche Bewässerungskanäle in Südtirol oder im Schweizer Wallis – nur dass das System im Altdorfer Wald bis heute nahezu vollständig intakt ist.

Östlich des Lochmoos liegt der Ursprungsbrunnen des Stillen Bachs. Von dort aus fließt das Wasser zum über 800 Jahre alten Rößlerweiher, dem zentralen Schaltpunkt des gesamten Systems. An dessen Auslauf reguliert ein "Mönch" – ein mittelalterliches Absperrbauwerk – den Wasserstand. Der Name ist Programm: So ein Mönch besteht aus einem senkrechten Schacht mit variablen Schlitzen, durch die das Wasser abfließt. Nach dem Rößlerweiher fließt der Stille Bach in einer ausgesetzten Trasse entlang der Bergflanke des Hochtobels – bis in die 1980er Jahre kam es hier immer wieder zu Murenabgängen, deren Spuren man heute noch als tiefe Rinnen im Steilhang sehen kann.

Wasser in rauen Mengen

Im Altdorfer Wald entspringen rund 250 Quellen, von kleinen Rinnsalen bis zu den wasserreichen Quellen im Weißenbronnen mit einer Schüttung von 150 Litern pro Sekunde – und das in reinster Trinkwasserqualität. Neben der Wolfegger Ach gibt es zahlreiche weitere Quellbäche der Schussen, die letztendlich dem Bodensee und damit dem Rhein zufließen.

Zu den Stillgewässern zählen der Bunkhofer Weiher, der Neuweiher bei Wolpertswende und der Langmoosweiher. Dann gibt es noch die Moore: Das Erbisreuter Moor, das Füremoos und das Lochmoos, wo auch der Ursprungsbrunnen des Stillen Bachs liegt. Manche dieser Moore sind als Naturschutzgebiete ausgewiesen und stehen unter strengem Schutz – Moorwälder und intakte kleine Hochmoore, versteckt zwischen Fichten und Buchen.

Ein Mischwald mit Geschichte

Der Altdorfer Wald besteht hauptsächlich aus Fichtenfluren, daneben findet man Buchen und andere Laubbaumarten. Etwa ein Drittel der gesamten Waldfläche steht unter verschiedenen Schutzstatus. Im Nordwestteil des Waldgebiets gibt es sogar einen Bannwald nach "bayerischem Schlag" – das heißt, hier greift der Mensch kaum noch ein und der Wald darf sich weitgehend selbst überlassen bleiben.

Die Forstwirtschaft spielt im Altdorfer Wald seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Heute wird der Staatswald durch ForstBW bewirtschaftet und geschützt. Früher wurde das Holz sogar geflößt: Im 18. Jahrhundert transportierte man Bau- und Brennholz für das Kloster Weißenau auf Schussen und Wolfegger Ach. Nach einem massiven Waldschaden durch Raupen im Jahr 1840 musste der Holzeinschlag rasch abtransportiert werden – dafür wurden die Bäche begradigt und Floßklausen gebaut.

Der Schwarze Veri und seine Bande

Im 18. und 19. Jahrhundert war der Altdorfer Wald nicht nur für seine Schönheit bekannt, sondern auch berüchtigt. Damals trieb die Räuberbande um den Schwarzen Veri ihr Unwesen im Wald, wobei Weißenbronnen als eines ihrer Verstecke diente. Der Schwarze Veri hieß bürgerlich Xaver Hohenleiter und lebte von 1788 bis 1819.

Seine Bande plünderte vor allem die umliegenden Bauern aus, wobei es meist um Lebensmittel ging. Die Taktik war simpel: Die weiblichen Mitglieder der Bande lenkten die Bauern ab, während die Männer die Vorräte stahlen. Das Ende kam tragisch: Xaver Hohenleiter starb im Gefängnis in Biberach, als ein Blitz in seinen Gefängnisturm einschlug. Bis heute erinnert in Weißenbronnen ein ehemaliges Gasthaus an diese dunkle Zeit.

Wandern im Altdorfer Wald

Der Altdorfer Wald ist ein Paradies für Wanderer – und zwar für alle Ansprüche. Die Beschilderung ist allerdings nicht immer eine große Hilfe, dafür gibt es seit einigen Jahren eine spezielle Wanderkarte, die vom Verein "Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald" zusammen mit Altförster Gerhard Maluck und anderen Waldfreunden entwickelt wurde. Die Karte zeigt ausgewählte Routen, die gut über den gesamten Wald verteilt sind.

Als Startpunkte dienen jeweils ausgewiesene Parkplätze, markiert mit Routen-Nummern. Die vielen Weiher, Forsthütten auf alten Wiesen und Lichtungen sind damit leicht zu finden, ebenso wie die zahllosen Bildstöcke, die von der Volksfrömmigkeit und der Klostergeschichte des Waldes zeugen. Wer mit Kindern unterwegs ist, kann kürzere Touren planen – Weiher und Wiesen sind ideale Ziele für Rast und Spiel.

Besonders beliebt ist der Genießerweg Altdorfer Wald, der in Nessenreben startet. Die Wanderung vereint das kulturhistorische Juwel "Stiller Bach" mit dem Rößlerweiher und besonders schönen Abschnitten des Lauratals. Am Ende wartet das Freibad Nessenreben zur Erfrischung – oder der Biergarten des Hofgutes zum gemütlichen "Hock". Der wasserbauhistorische Wanderpfad folgt dem Stillen Bach und ist mit Infotafeln versehen, die die Geschichte und Bauweise des mittelalterlichen Kanalsystems erklären.

Wer eine längere Tour plant, kann zwischen Weißenbronnen und Fuchsenloch durch den Wald wandern. Weißenbronnen ist allerdings nicht ganz leicht zu finden – am besten fährt man über Bergatreute und Witschwende. Dort hört man den kleinen Wasserfall schon von Weitem plätschern. Der Wasserfall samt altem Gasthaus gehört allerdings einer Privatperson und ist umzäunt, deshalb sollte man sich vorher eine Genehmigung einholen. Für die gesamte Strecke zwischen Weißenbronnen und Fuchsenloch, wo eine Taverne zur Einkehr lädt, solltest du sechs bis acht Stunden einplanen – oder mehr, denn es gibt viel zu sehen.

Besondere Orte und Aussichtspunkte

Rund um den Altdorfer Wald liegen einige sehenswerte Orte. Da wäre zunächst die Waldburg, die über dem gleichnamigen Ort thront und von der aus man bei klarem Wetter bis zum Hohentwiel, zum Ulmer Münster, weit ins Alpenvorland und in die Schweizer Alpen schauen kann. Die Burg steht auf einem Drumlin, einem eiszeitlichen Hügel, und bietet spektakuläre Rundumsicht.

In Wolfegg findest du das Bauernhaus-Museum, das sich am Ostrand des Waldes befindet und die traditionelle Bauweise und Lebensweise der Region zeigt. Wolfegg selbst hat ein Schloss und eine Barockkirche. Bergatreute wartet mit einer barocken Pfarr- und Wallfahrtskirche sowie einem "Kapellenkranz" auf – mehrere kleine Kapellen, die um den Ort verteilt sind.

Am Westrand des Altdorfer Waldes liegt Baindt mit seiner sehenswerten Klosterkirche. Und dann ist da natürlich Weingarten mit seiner prächtigen Basilika und dem alljährlichen Blutritt, der größten Reiterprozession Europas. Dass die Stadt auch Ausgangspunkt herrlicher Wanderungen ist, muss sich tatsächlich erst noch rumsprechen.

Flora und Fauna

Der Altdorfer Wald beherbergt eine vielfältige Flora und Fauna. Etwa ein Drittel der Waldfläche steht unter Schutz, darunter mehrere Flora-Fauna-Habitat-Gebiete. Zu den besonderen Pflanzen gehören Frauenschuh-Orchideen, Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder sowie Eschen und Weiden in den Moor- und Auenwäldern.

An Tieren sind Kammmolche, Steinkrebse, verschiedene Fledermausarten und seltene Wildschnecken heimisch. Wer leise ist und Glück hat, kann zwischen den Bäumen auf Lichtungen auch Rehe beobachten. Im Herbst wird der Wald zum Paradies für Pilzsammler – allerdings sollte man sich auskennen und nur sammeln, was man sicher bestimmen kann.

Aktuelle Herausforderungen

Der Altdorfer Wald steht aktuell vor verschiedenen Herausforderungen. Seit Februar 2021 ist ein Teil des Waldes von Klimagerechtigkeitsaktivisten besetzt, die gegen geplante Rodungen für Kiesabbau protestieren. Der Untergrund des Altdorfer Waldes enthält große Mengen an Kies und Sand, die von der Bauindustrie nachgefragt werden. In den 1960er Jahren wurden bereits 40 Hektar Waldfläche gerodet, weitere Erweiterungen sind im Regionalplan vorgesehen.

Hinzu kommen Pläne für einen Windpark: Zu Ostern 2025 wurde bekannt, dass bis 2029 bis zu 30 Windräder der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm im Altdorfer Wald gebaut werden sollen. Der Verein "Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald" setzt sich dafür ein, dass der Wald nicht zum Industriegebiet wird und als Naherholungswald erhalten bleibt.

Praktische Infos

Der Altdorfer Wald liegt etwa zehn Kilometer nordöstlich von Ravensburg und ist mit dem Auto gut erreichbar. Die Bundesstraße 30 führt teilweise durch den Wald, ebenso wie Abschnitte einiger Landes- und Kreisstraßen. Mit der Bahn kommst du nach Ravensburg oder Weingarten, von dort aus fahren Busse in die umliegenden Ortschaften.

Die Wanderkarte "Altdorfer Wald – Die grüne Lunge von Oberschwaben" gibt es im Buchhandel, bei den Kommunen und Tourist-Infos rund um den Wald oder direkt beim Adelegg-Verlag. Sie kostet etwa sechs Euro inklusive Versand und ist für jeden Waldbesucher eine lohnende Investition. Denn ohne Karte kann man sich in den 8.000 Hektar schon mal verlaufen.

Festes Schuhwerk ist im Altdorfer Wald immer empfehlenswert, besonders im Herbst und Frühling, wenn Laub die Wege rutschig macht. Bei feuchter Witterung sind richtige Wanderschuhe Pflicht. Pack dir ausreichend Wasser und eventuell eine Brotzeit ein, denn manche Touren führen durch einsame Waldgebiete, wo es keine Einkehrmöglichkeiten gibt.

Wer den Wald mit dem Fahrrad erkunden möchte, sollte sich unbedingt an die Forstwege halten. Auf den schmalen Wanderpfaden haben Radler nichts verloren. Das gilt auch für Wanderreiter. Die Wanderkarte zeigt aber genug Forstwege, die auch für Radler und Reiter geeignet sind.

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