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Die Weinregion Bodensee: Vom Müller-Thurgau bis zum Spätburgunder

Hier am See macht der Wein sein ganz eigenes Ding, irgendwo zwischen südlicher Sonne und den kühlen Winden der Alpen. Ein ehrlicher Schluck, der keine großen Gesten braucht, um zu überzeugen.

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Zwischenablage

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen, im wahrsten Sinne. Der Bodensee ist für den Weinbau eigentlich eine klimatische Kuriosität. Ohne die riesige Wasserfläche, die wie eine gigantische Wärmflasche wirkt, wäre hier Schluss mit lustig für die Reben. Wir befinden uns im nördlichen Voralpenland, da wird es im Winter gerne mal richtig schattig. Aber das Wasser speichert die Sommerhitze bis weit in den Oktober hinein, und dann ist da noch der Föhn. Dieser warme Fallwind von den Alpen drückt die Temperaturen nach oben, wenn anderswo die Winzer schon nervös auf das Thermometer schielen. Das Ergebnis ist ein Mikroklima, das Weine hervorbringt, die weniger durch Wucht als durch eine filigrane Struktur auffallen. Alkoholbomben sucht man hier vergebens, was dem Kopf am nächsten Morgen meist ganz gut bekommt.

Geologisch ist die Sache ein ziemliches Durcheinander. Da hat der Rheingletscher in der letzten Eiszeit ordentlich gewütet und alles Mögliche an Gestein, Sand und Lehm hinterlassen. Molasse heißt das Zauberwort, ein Sedimentgestein, das den Weinen oft eine ganz eigene, fast schon salzige Mineralität mitgibt. Spannend ist dabei, dass der Boden alle paar Kilometer wechselt. Was in Meersburg auf Sandstein wächst, steht drüben in Nonnenhorn auf Moränenschotter. Man schmeckt das, wenn man sich Zeit nimmt.

Baden oder Württemberg? Eine deutsche Verwirrung

Wer am deutschen Ufer entlangradelt – und Achtung, die E-Bike-Dichte ist hier an sonnigen Wochenenden lebensgefährlich hoch –, der wechselt unbemerkt die Weinbaugebiete. Der Großteil des nördlichen Ufers, von Überlingen über Meersburg bis Hagnau, gehört weinrechtlich zu Baden. Das ist der Bereich Bodensee. Hier dominiert der Müller-Thurgau, der hier aber oft nur „Müller“ genannt wird. Lange Zeit als Massenwein für die Schorle verrufen, zeigen Winzer wie das Staatsweingut Meersburg oder der Winzerverein Hagnau, dass diese Rebe richtig was kann, wenn man die Erträge runterschraubt. Er schmeckt dann nach grünem Apfel, Muskat und hat so einen knackigen Biss.

In Meersburg selbst kleben die Reben förmlich an der steilen Wand unterhalb der Burg. Man kommt da als Spaziergänger ordentlich ins Schwitzen, wenn man den Weg hinauf zur Droste-Hülshoff-Büste nimmt. Die Mauern heizen sich tagsüber auf und geben die Wärme nachts ab. Ein fast mediterranes Flair, wenn man den Touristenmassen kurz entkommen kann. Spezialität hier: der Spätburgunder Weißherbst. Ein Rosé, den die Einheimischen stur trinken, egal was die weltweiten Weintrends gerade sagen.

Weiter östlich, ab Kressbronn und hinüber nach Bayern (Lindau, Nonnenhorn), wird es kurios. Politisch ist das Bayern, weinrechtlich gehört es zu Württemberg. Der bayerische Bodensee ist klein, aber oho. In Nonnenhorn gibt es eine Dichte an guten Winzern, die erstaunlich ist. Hier traut man sich auch mal an internationale Sorten ran, Sauvignon Blanc oder Chardonnay, die auf den kiesigen Böden prächtig gedeihen. Ein Abend am „Stedi“ (dem Landesteg) in Nonnenhorn, mit einem Glas Wein in der Hand und dem Blick auf die Schweizer Alpenkette gegenüber, hat schon was für sich. Da muss man gar nicht viel reden.

Die Schweiz: Heimat des Müllers und des Blauburgunders

Ennet dem See (so sagen die Schweizer für „drüben“) liegt der Thurgau. Viele verbinden den Kanton nur mit Äpfeln, was dem Wein unrecht tut. Schließlich stammt Dr. Hermann Müller, der Züchter der Müller-Thurgau-Rebe, aus Tägerwilen gleich neben Konstanz. In der Schweiz nennt man die Traube meist Riesling-Silvaner, obwohl genetisch gar kein Silvaner drin ist. Egal. Die Schweizer machen daraus frische, süffige Weine, die perfekt zu den Felchenfilets passen, die hier überall auf den Speisekarten stehen.

Interessanter wird es, wenn man den Rhein abwärts Richtung Schaffhausen schaut. Das „Blauburgunderland“ macht seinem Namen alle Ehre. Pinot Noir (Blauburgunder) ist hier der unangefochtene Platzhirsch. Die Weine sind teurer als auf der deutschen Seite, das liegt am Franken und an den Lohnkosten, aber oft auch dichter und komplexer. Wer mal einen gut gereiften Blauburgunder aus Hallau oder vom Rheinfall getrunken hat, vergisst den so schnell nicht wieder. Manchmal haben diese Weine so eine leicht rauchige Note, fast wie Speck, was besser schmeckt, als es jetzt vielleicht klingt.

Von Rädle, Besen und Buschenschank

Die schönste Art, den Bodenseewein zu vernichten, ist nicht im feinen Restaurant, sondern beim Winzer in der Stube. Was im Rest von Deutschland Straußwirtschaft heißt, nennt sich hier Rädle (Baden/Württemberg) oder Besenbeiz. Man erkennt sie an einem Reisigbesen, der vor der Tür hängt. Hängt er draußen, ist offen. Ganz einfaches Prinzip.

Die Atmosphäre in so einem Rädle ist speziell. Oft sitzt man auf Bierbänken, die Tische stehen eng, man kommt zwangsläufig mit den Nachbarn ins Gespräch. „Hockat se doch her“, heißt es dann. Die Speisekarte ist übersichtlich: Wurstsalat (mit oder ohne Käse), Bibiliskäs (Quark mit Kräutern) und Dünnele. Letzteres ist die Bodensee-Antwort auf den Flammkuchen, oft etwas dickerer Teig, ordentlich Belag mit Speck und Zwiebeln. Fettig, salzig, grandios zum Wein. Man sollte nur nicht den Fehler machen und nach einer Cola fragen. Da erntet man blicke, die töten könnten. Most oder Wein, fertig.

Ein echter Tipp für Sparfüchse und Romantiker sind die Weinfeste im Herbst. In Hagnau oder Meersburg geht es dann zwar zu wie im Taubenschlag, aber die Stimmung, wenn die Blasmusik spielt und der See im Hintergrund glitzert, ist schon einmalig. Im Herbst, zur „Wimmlet“ (Weinlese), riecht die ganze Region nach gärenden Trauben und Trester. Ein süßlich-schwerer Duft, der in der Nase kribbelt.

Vorarlberg: Der kleine Exot

Ganz im Osten, rund um Bregenz, hat Österreich seinen winzigen Anteil am Seeufer. Vorarlberg ist kein klassisches Weinland, die meisten trinken hier Bier oder Wein aus Niederösterreich. Aber es gibt sie, die paar Unbeugsamen, die am Gebhardsberg oder in Bregenz Reben pflegen. Die Mengen sind homöopathisch. Wenn du so eine Flasche findest: Kaufen. Es ist eine Rarität, oft überraschend gut, weil die Kalkböden hier den Alpenausläufern geschuldet sind. Es ist eher ein Liebhaberprojekt als große Industrie.

Was kommt ins Glas? Sorten und Trends

Neben den Platzhirschen Müller-Thurgau und Spätburgunder tut sich was. Der Klimawandel macht auch vor dem Bodensee nicht halt. Die Sommer werden heißer, trockener. Sorten wie Merlot oder Cabernet, früher undenkbar hier, tauchen immer öfter in den Weinbergen auf. Besonders die sogenannten PIWIs (pilzwiderstandsfähige Rebsorten) wie Solaris oder Regent sieht man häufiger. Die Winzer mögen sie, weil man weniger spritzen muss. Der Geschmack ist für Traditionalisten manchmal gewöhnungsbedürftig, oft sehr fruchtbetont, fast exotisch. Aber probieren lohnt sich.

Ein heimlicher Star ist der Grauburgunder (Ruländer). Am Bodensee gerät er oft sehr schmelzig, mit viel Gelbfrucht. Er hat genug Körper, um es mit den deftigen Käsespätzle der Region aufzunehmen. Wer es lieber prickelnd mag: Winzersekte vom Bodensee sind eine Bank. Durch die kühlen Nächte behalten die Trauben ihre Säure, was für guten Sekt essenziell ist.

Praktische Tipps für den Weintrip

Auto stehen lassen. Ernsthaft. Die Straßen rund um den See sind chronisch verstopft, und die Promillegrenzen streng (besonders in der Schweiz und für Radfahrer auch in Deutschland relevant). Die „Weiße Flotte“, also die Kursschiffe, verbinden fast alle wichtigen Weinorte. Von Meersburg nach Konstanz mit der Fähre, oben an der Reling stehen, den Wind im Gesicht und den Weinberg im Rücken – das hat Qualität. Es gibt auch spezielle „Weinschiffe“, wo man verschiedene Tropfen probieren kann, während die Landschaft vorbeizieht. Klingt touristisch, ist es auch, macht aber trotzdem Laune.

Wer Wein kaufen will: Nicht im Supermarkt. Geh in die Winzergenossenschaften oder direkt auf den Hof. In Hagnau beim Winzerverein kann man fast alles probieren, bevor man kauft. Die Beratung ist meistens sehr bodenständig, kein elitäres Sommelier-Gequatsche, sondern ehrliche Ansagen: „Der passt zum Grillen, der hier isch für gut.“

Der Bodensee ist keine Region für Etikettentrinker, die mit großen Namen protzen wollen. Es ist eine Region für Leute, die verstehen, dass Wein auch einfach ein Lebensmittel ist, das zum Alltag gehört wie das Brot und der Käse. Wenn man dann abends am Ufer sitzt, die Mücken ignoriert und sieht, wie die Sonne hinter den Hegau-Vulkanen verschwindet, schmeckt der einfache Müller plötzlich wie der beste Wein der Welt. Und vielleicht ist er das in dem Moment auch.

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