Die Bodenseeregion ist eines der größten Obstanbaugebiete Europas. Über 7.500 Hektar Anbaufläche, rund 1.200 Betriebe allein auf deutscher Seite, dazu weitere 800 am österreichischen und schweizerischen Ufer. Das zweitgrößte geschlossene Obstanbaugebiet Deutschlands liegt hier. Kein Wunder also, dass im Frühling die Landschaft regelrecht in Blüten versinkt.
Je nach Wetter beginnt die Blütezeit Anfang bis Mitte April. Zuerst starten die Aprikosen, Zwetschgen und Kirschen. Einige Tage später folgen die Birnen, und dann kommt der Höhepunkt: die Apfelblüte. Die Bäume erstrahlen in hellem Weiß und zartem Rosarot. Auf den etwa 20 Millionen Apfelbäumen in der Region öffnen sich die Knospen fast gleichzeitig. Ein Schauspiel, das nur wenige Wochen dauert. Manchmal kommt es auch anders: Wenn ein Winterintermezzo im frühen April das Aufblühen stoppt, dann ist die Pause meist nur kurz. Mit steigenden Temperaturen explodiert die Natur förmlich.
In den letzten Jahren hat sich die Blüte tendenziell nach vorne verschoben. Während die Apfelbäume früher meist erst Ende April blühten, setzt die Blüte heute oft schon Mitte April ein. Das milde Bodenseeklima mit seinen vielen Sonnenstunden schafft ideale Bedingungen. Durch die Lage am See und im Voralpengebiet entwickeln die Früchte ein besonders dichtes Fruchtfleisch und intensives Aroma. Die großen Tag-Nacht-Unterschiede im Temperaturverlauf sorgen für gute Farbausprägung.
Streuobstwiesen: Kulturlandschaft mit Zukunftsfragen
Neben den modernen Plantagen prägen traditionelle Streuobstwiesen das Bodenseehinterland. Diese hochstämmigen Obstbäume stehen locker über die Landschaft "gestreut" und bilden einen der artenreichsten Lebensräume Mitteleuropas. Über 5.000 Tier- und Pflanzenarten können hier heimisch sein. Von der Dorngrasmücke über den Gartenrotschwanz bis zum Wendehals finden zahlreiche Vogelarten Nahrung und Brutplätze. Studien am Bodensee haben gezeigt, dass auf Streuobstwiesen viermal mehr Brutvogelarten und fünfmal mehr Brutpaare vorkommen als in modernen Obstplantagen.
Die extensiv bewirtschafteten Streuobstwiesen werden seit jeher mehrfach genutzt: Das frisch geerntete Obst wird zu Dörrobst, Apfelsaft, Most oder Obstbränden verarbeitet. Die Wiesen dienen häufig als Vieh- und Bienenweiden. Das Holz alter Bäume findet als Brenn- und Baumaterial Verwendung. Allerdings sind die Streuobstwiesen stark bedroht. Seit den 1960er Jahren ist ihr Bestand massiv zurückgegangen. In der Region Bodensee-Oberschwaben wurden innerhalb der letzten drei Jahrzehnte teils bis zu 80 Prozent aller Streuobstbäume gerodet.
Der BUND hat eine Saftaktion entwickelt, um den Streuobstbau wieder rentabel zu machen. Die unter Vertrag stehenden Bauern erhalten einen Aufpreis bis zum doppelten des Marktpreises, mindestens jedoch 24 Euro für 100 Kilogramm. Bei normalen Mostpreisen von nur 8 bis 10 Euro für 100 Kilogramm lohnt sich die aufwändige Bewirtschaftung sonst kaum noch. 2021 wurden die Streuobstwiesen von der EU-Kommission zum immateriellen Kulturerbe ernannt.
Mostbirnen: Die vergessenen Schwestern des Apfels
Zwischen den Apfelbäumen stehen sie oft etwas unscheinbar: die Mostbirnen. Diese robusten Birnensorten haben ihren Nutzungsschwerpunkt auf der Saftproduktion. Sorten wie die Schweizer Wasserbirne, die Luxemburger Mostbirne oder die Karcherbirne werden traditionell zum Most dazugesetzt, denn ein reiner Apfelmost schmeckt deutlich weniger rund als ein Birnen-Apfelmost. Das Fruchtfleisch der Mostbirnen ist oft mehlartig und enthält mehr Gerbstoffe als Tafelbirnen.
Die Geschichte der Birne am Bodensee reicht bis in die Jungsteinzeit zurück. Die ältesten Funde domestizierter Obstsorten stammen aus Pfahlbauten am Bodenseeufer aus der Zeit um 4.000 vor Christus. Kaiserin Maria Theresia verordnete einst die Anpflanzung von Streuobstbäumen entlang sämtlicher Landes- und Bezirksstraßen. Ihr Sohn Joseph II. schrieb frisch verheirateten Eheleuten sogar vor, mindestens zwei fruchttragende Bäume zu setzen.
Heute gibt es in der Region verschiedene Mostereien, die sich auf sortenreine Produkte spezialisiert haben. Die Stahringer Streuobstmosterei keltern beispielsweise einen sortenreinen Birnensaft aus der Schweizer Wasserbirne. Wer sich also dafür interessiert, sollte in den Hofläden nach BIRNOH Ausschau halten, einem Aperitif aus Destillat und Keltersaft alter Mostbirnensorten, der im Eichenfass reift. Ein echter Bodensee-Apéro mit der ganzen Aromenfülle der Streuobstbirnen.
Wo die Blüte am schönsten ist
Der Panorama-Blütenweg von Sipplingen nach Ludwigshafen gilt als eine der spektakulärsten Wanderrouten im Frühling. Die charakteristische Steiluferlandschaft am Überlinger See ist gesäumt von unzähligen blühenden Streuobstwiesen. Freie Aussichten auf den Bodensee bieten sich hier fast durchgehend. Insider empfehlen, den malerischen Pfad in eine Rundtour einzubinden, die auch den Berggasthof Haldenhof mit einschließt.
Wer lieber mit dem Rad unterwegs ist, hat die Qual der Wahl. Die Radrunde von Nonnenhorn über Eriskirch und Tettnang entlang der Hopfenschleife führt durch das Eriskircher Ried und vorbei an Hopfengärten und Obstplantagen. Die Panorama-Radrunde am Lindauer Bodensee bietet Ausblicke auf die sechs schönsten Aussichtspunkte der Region. In Wasserburg lässt sich eine ruhige Wanderung durch das Hinterland unternehmen. Hier genießt man die Ruhe inmitten blühender Obstplantagen mit dem See in der Ferne.
Der Bodensee-Radweg selbst, mit fast 280 Kilometern einer der beliebtesten Radwege Europas, ist während der Blütezeit besonders reizvoll. Mehr als 220.000 Radwanderer zieht es jährlich an den Bodensee. Im Frühjahr bietet sich die Kombination aus schneebedeckten Alpengipfeln im Hintergrund und grünen Wiesen mit duftenden Obstbäumen im Vordergrund. Die Wege sind fast durchgehend flach und auch für Familien gut geeignet. Rund um den Obersee verläuft die Route weitgehend eben, entlang des Untersees gibt es die eine oder andere kurze Steigung.
Praktisches zur Blütezeit
Allerdings hält sich die Natur natürlich an keinen Terminkalender. Je nach Wetter platzen die Blütenknospen früher oder später. Ein Blick auf das Blütenbarometer von "Echt Bodensee" hilft bei der Planung. Die Plattform zeigt den aktuellen Stand der Obstblüte und verrät, wann ein Ausflug besonders reizvoll ist. So lässt sich der Besuch zeitlich perfekt abstimmen.
Die Blütezeit dauert etwa zwei bis drei Wochen. In dieser Phase sind die Obstbauern besonders nervös: Frostnächte können die empfindlichen Blüten zerstören. Ab minus 3,5 Grad wird es kritisch, bei Temperaturen unter minus fünf Grad sind Schäden unvermeidbar. Deshalb lassen Landwirte in manchen Lagen, etwa in Langenargen-Oberdorf, Wasser auf die Blüten regnen. Die Flüssigkeit gefriert und bildet einen Eispanzer. Im Eispanzer herrscht immer eine Temperatur von etwa null Grad, die die Blüten aushalten.
Nach der Blüte entwickeln sich die Jungfrüchte. Tag für Tag wachsen sie heran, werden größer und formen sich. Die Erntezeit beginnt schon Anfang August mit frühen Sommerapfelsorten. Im September und Oktober ist Haupterntezeit. Etwa 250.000 Tonnen Äpfel ernten die rund 1.150 Erzeuger jährlich. Durch Lagersorten wie Jonagold, Elstar, Idared und Gala gibt es Bodensee-Äpfel das ganze Jahr über.
Kulinarische Entdeckungen
Die Region lebt vom Obstanbau, seit über 1.000 Jahren wachsen hier Apfelbäume. Ab dem 18. Jahrhundert wandelte sich der Bodenseeraum zur professionellen Anbauregion. Friedrich II. verordnete den Apfelbaum-Anbau von oben herab. Heute werden etwa 20 verschiedene Apfelsorten kommerziell angebaut, im gesamten Bodenseegebiet wachsen über 100 verschiedene Sorten.
Wer Wert auf Qualität und regionale Produkte legt, ist bei den Hofläden richtig. Die Bauern sind mit der Region verwachsen und gehen ihrer Berufung mit Leidenschaft nach. Ob Obst pur oder in Form von hausgemachten Obstbränden, Apfelchips, Apfelkonfitüren und vielem mehr – die Äpfel schmecken einfach hervorragend. Eine genussvolle Radrunde durch die Apfelplantagen führt auf rund 38 Kilometern entlang prallgefüllter Obstplantagen, vorbei an Hofläden wie dem in Ittendorf oder dem Obsthof Fahr in Fischbach.
Der Apfelweg in Immenstaad bietet auf 27 Tafeln interessante Informationen rund um den Obst- und Weinanbau am Bodensee. In Kippenhausen lädt die urige Besenwirtschaft auf dem Reblandhof Siebenhaller zum Verweilen ein. Die Kelterei Widemann zwischen Ittendorf und Bermatingen ist ein guter Stopp für eine kühle Apfelschorle. Wer es sportlicher mag, kann die letzten Kilometer per Kursschiff von Friedrichshafen zurück nach Immenstaad nehmen.
Mehr als nur Obstblüte
Während der Blütezeit öffnen sich auf der Insel Mainau über eine Million Tulpenköpfe. Die Blumeninsel ist während der Frühlingsmonate ein eigenes Erlebnis. Zahlreiche Garten- und Parkanlagen zeigen sich im Frühling in ihrer ganzen Pracht. Von der Steinzeit bis in die Gegenwart lassen sich Bodenseegärten unterschiedlicher Zeitepochen erleben. Darunter sind namenhafte Gärten wie jene der UNESCO-Welterbe-Insel Reichenau oder des Schlosses Salem.
Die Schifffahrt nimmt im Frühjahr ihren Linienfahrplan wieder auf und verbindet täglich die Orte rund um den See. So lassen sich Wanderungen und Radtouren gut mit Schifffahrten kombinieren. Das milde Klima der Region macht den Bodensee zu einer Ganzjahresdestination. Im Frühjahr sind die Temperaturen bereits angenehm, die Sonne scheint oft, und die Menschenmassen des Sommers sind noch nicht da.
Sieben Streuobst-Wanderwege wurden unter der Trägerschaft des Bundes Naturschutz im Landkreis Lindau konzipiert und ausgeschildert. Eine dieser Touren, Route 2, liegt im Stadtgebiet Lindau. Die vorgeschlagenen Touren sind zwischen 5,3 und 10,8 Kilometer lang und bieten neben sinnlichen Eindrücken auf Informations- und Sortentafeln fachkundige Informationen rund um Bedeutung, Vielfalt und Anbau des Streuobstes.
Timing ist alles
Wer die Blüte in voller Pracht erleben will, sollte flexibel planen. Die Natur richtet sich nicht nach Kalendertagen. In warmen Jahren kann die Apfelblüte bereits Mitte April ihren Höhepunkt erreichen, in kühleren Jahren erst Ende April oder Anfang Mai. Das Blütenbarometer gibt Orientierung, aber letztlich entscheidet das Wetter der Vortage.
Die beste Tageszeit für Fotos ist der frühe Morgen oder der späte Nachmittag, wenn das Licht weicher ist. Frühnebel, der sich langsam auflöst, während die Sonne die Blüten in warmes Licht taucht, bietet besonders stimmungsvolle Momente. An Wochenenden kann es auf den beliebten Routen voller werden, unter der Woche lässt sich die Blütenpracht oft in Ruhe genießen.