Untersee mit Konstanz & Hegau

Der Mindelsee: Der kleine Bodensee-Bruder mit großer Wildnis

Nur ein paar Kilometer vom trubligen Bodensee entfernt döst der Mindelsee in seiner Moorlandschaft vor sich hin – und ist dabei alles andere als langweilig. Hier gibt's mehr Orchideen als Instagram-Filter und mehr bedrohte Arten als in so manchem Großstadtzoo.

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Zwischenablage

Vor etwa 14.000 Jahren zog sich der Rheingletscher aus der Gegend zurück und hinterließ auf dem Bodanrück eine Mulde, die sich mit Wasser füllte. Das war die Geburtsstunde des Mindelsees. Ursprünglich war dieser See richtig stattlich – über acht Kilometer lang und bis zu zwei Kilometer breit. Heute sind davon gerade mal 2,2 Kilometer Länge und 500 Meter Breite übrig geblieben. Schuld daran waren die Menschen, die schon im späten Mittelalter anfingen, das „Sumpfloch" trockenzulegen.

Der See liegt auf knapp 406 Metern über dem Meeresspiegel, etwa zehn Meter höher als der große Bruder Bodensee. Zwischen Überlinger See und Untersee eingebettet, gehört das Gewässer zur Gemarkung der Radolfzeller Stadtteile Möggingen und Markelfingen. An seiner tiefsten Stelle reicht er dreizehn Meter in die Tiefe, im Durchschnitt sind's acht Meter. Gespeist wird er von diversen Quellen sowie dem Krebsbach, dem Adernbach und dem Fällgraben. Das Wasser fließt dann über den Mühlbach in den Untersee ab.

Naturschutz mit Tradition

1938 – das ist noch unter den Nazis gewesen, da muss man ehrlich sein – wurde das Mindelsee-Gebiet als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Damit zählt es zu den ältesten Schutzgebieten in ganz Baden-Württemberg. Die Fläche umfasst heute insgesamt 459 Hektar, davon 411 Hektar Naturschutzgebiet und 48 Hektar Landschaftsschutzgebiet. Zum Vergleich: Das sind über 640 Fußballfelder.

Richtig spannend wurde es dann ab 1972, als der BUND Baden-Württemberg mit Landschaftspflegemaßnahmen begann. Seit 1979 betreut der Umweltverband das Gebiet offiziell im Auftrag des Regierungspräsidiums Freiburg. Was zunächst nach bürokratischem Hickhack klingt, hat sich als Erfolgsgeschichte entpuppt. Die Zusammenarbeit zwischen amtlichem Naturschutz und BUND gilt als vorbildlich.

1976 wurde der Mindelsee als „International bedeutsames Feuchtgebiet für Wat- und Wasservögel" nach der Ramsar-Konvention anerkannt – neben dem Wollmatinger Ried das einzige solche Gebiet in Baden-Württemberg. Drei Jahre später stufte die EU den See als Vogelschutzgebiet ein. 2002 meldete das Land Baden-Württemberg das Naturschutzgebiet zusammen mit großen Teilen des Bodanrück als Natura 2000-Gebiet an die Europäische Kommission. Kurz gesagt: Der Mindelsee sammelt Naturschutz-Titel wie andere Leute Briefmarken.

Ein Mosaik voller Leben

Das Verrückte am Mindelsee: Gerade weil die Menschen jahrhundertelang versucht haben, das Moor trockenzulegen, Torf zu stechen und Wiesen anzulegen, ist ein unglaublich vielfältiger Lebensraum entstanden. Auf engem Raum wechseln sich Schilfflächen und Streuwiesen, Trockenrasen und Feuchtwiesen, naturnahe Wälder und offene Wasserflächen ab. Sowas nennt man in der Fachsprache ein „Mosaik an Lebensräumen" – und genau das macht den Mindelsee zu einem Hotspot der Artenvielfalt.

Die Zahlen sind beeindruckend: Über 700 verschiedene Blütenpflanzen wurden gezählt, dazu 120 Moosarten sowie Hunderte von Algen-, Flechten- und Pilzarten. Besonders stolz ist man hier auf die mehr als 20 Orchideenarten. Darunter finden sich echte Raritäten wie das Torf-Glanzkraut, die Sumpf-Stendelwurz, die Sommer-Drehwurz und Traunsteiners Knabenkraut. 2007 wurden über 100.000 blühende Orchideen rund um den See gezählt – ein Anblick, den man nicht so schnell vergisst.

Zu den botanischen Kostbarkeiten zählen außerdem Mehlprimel, Fettkraut, Breitblättriges Wollgras und Schwalbenwurzenzian. Landwirte und Schäfer tragen mit ihrer Arbeit dazu bei, dass diese Pflanzen überhaupt noch eine Chance haben. Ohne die regelmäßige Mahd oder Beweidung würden viele Flächen verbuschen und die lichtliebenden Arten verschwinden.

Tierisches Treiben

Fast 600 Käferarten krabbeln hier herum, über 400 verschiedene Schmetterlinge flattern durch die Gegend, und etwa 40 Libellenarten schwirren über dem Wasser. In den Wäldern rund um den See hängen verschiedene Fledermausarten ab, darunter das sehr gefährdete Graue Langohr.

Aber die Stars am Mindelsee sind definitiv die Vögel. Rund 100 Arten brüten hier regelmäßig, darunter selten gewordene wie Neuntöter, Drosselrohrsänger, Mittelspecht oder Schwarzkehlchen. 2003 wurden während der Brutsaison sage und schreibe 133 Vogelarten im Naturschutzgebiet gezählt, davon 69 Brutarten. Zaunkönige nisten in den Wurzeltellern umgestürzter Bäume, Graureiher lauern auf Jungfische, und im Winter kommen Rohrdommeln und Gänsesäger auf die Jagd. Auch Haubentaucher, Zwergtaucher, Kolbenente, Schwarzmilan, Habicht, Wasserralle, Kiebitz und Flussseeschwalbe fühlen sich hier wohl.

Das absolute Highlight spielt sich aber im Herbst ab: Dann tummeln sich über 20.000 Reiherenten auf dem Mindelsee, um ihr Kleingefieder zu wechseln. Tagsüber kannst du beobachten, wie sie sich putzen und ausruhen. Gegen Abend fliegen die Enten dann zum nahegelegenen Bodensee, um nachts nach Dreikantmuscheln zu tauchen – ihrer Leibspeise. Die Ruhe am Mindelsee bietet dafür die ideale Grundlage. 1996 wurde dieses Schauspiel zum ersten Mal dokumentiert, und seitdem kommen Vogelbeobachter aus ganz Europa hierher.

Am Ufer liegen umgestürzte Bäume im Wasser – der Wald wird nämlich nicht bewirtschaftet. Diese natürlichen Strukturen sind Gold wert: Die Wurzelteller bieten Nistplätze, zwischen den Ästen verstecken sich Jungfische, und die Äste selbst werden von Dreikantmuscheln besiedelt, die wiederum von Reiherenten und Blässhühnern gefressen werden. Ein perfekter Kreislauf.

Rund um den See

Die klassische Mindelsee-Runde führt auf knapp acht Kilometern einmal um den See herum. Der Weg ist leicht zu laufen, auch wenn's stellenweise etwas matschig werden kann – wir sind schließlich in einem Moorgebiet. Plane etwa zwei Stunden ein, länger wenn du öfter stehen bleibst, um Vögel zu beobachten oder einfach die Stille zu genießen.

Starten kannst du entweder beim Parkplatz Mindelsee-Waldfriedhof oder beim Wild- und Freizeitpark. Von beiden Stellen sind es nur wenige hundert Meter bis zum See. Der Weg führt durch herrlichen Buchenhochwald, der besonders im Frühjahr und Herbst seine schönste Seite zeigt. An der Südseite verläuft der Pfad zwischen Schilffläche und Wald direkt am Ufer entlang. Auf der Westseite geht's dann durch Moorwiesen und Auwald – hier gibt's auch einen Wiesenweg, der noch näher ans Wasser führt.

Wer will, kann die Runde mit einem Abstecher zum Wild- und Freizeitpark Bodanrück kombinieren. Für Kinder ist das natürlich ein Highlight: Schwarzwild, Wisente, Damwild und sogar Bären gibt's dort im Freigehege zu sehen, plus Abenteuerspielplatz und Streichelzoo.

Eine etwas anspruchsvollere Variante führt vom Ostufer nach dem Krebsbach über den Hirtenhof und Dürrenhof bis nach Möggingen. Von dort oben hast du eine freie Sicht auf den Mindelsee und die Hegauberge – ein echter Genuss.

Wissen tanken im Naturschutzzentrum

In Möggingen, direkt gegenüber der Kirche, steht das BUND-Naturschutzzentrum. Seit 2021 gibt's dort eine moderne, interaktive Dauerausstellung über das Naturschutzgebiet. Die Ausstellung richtet sich an naturinteressierte Menschen ab etwa acht Jahren und erklärt auf vielfältige Weise die Entstehung der Landschaft, die ökologische Bedeutung und die Nutzung durch den Menschen. Auch das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 und Maßnahmen zum Artenschutz werden thematisch aufbereitet.

Geöffnet ist die Ausstellung mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei. Im kleinen Café gibt's Bio-zertifizierte Getränke, Kuchen und Eis aus der Region – perfekt für eine Pause vor oder nach der Wanderung. Für Gruppen ab zehn Personen ist eine Anmeldung erforderlich, ebenso wenn du eine Führung durch die Ausstellung oder das Naturschutzgebiet möchtest.

Der BUND bietet während der Sommermonaten regelmäßig öffentliche naturkundliche Führungen an. Es gibt auch spezielle Angebote für Kinder. Führungen zu verschiedenen Themenschwerpunkten – etwa Pflanzen, Vögel oder Naturschutzmanagement – können ganzjährig vereinbart werden. Mehr als 50 Führungen pro Jahr zeigen, wie ernst man hier die Öffentlichkeitsarbeit nimmt.

Praktisches fürs Vorbeikommen

Vom Radolfzeller Bahnhof fährt mindestens stündlich die Stadtbuslinie 6 zur Haltestelle „Rathaus Möggingen". Die Fahrt dauert nur ein paar Minuten. Am Naturschutzzentrum gibt's Parkplätze im Innenhof und auf einem öffentlichen Parkplatz gegenüber. Auch beim Waldfriedhof Markelfingen steht ein Parkplatz zur Verfügung.

Seit 2022 gibt's am Naturschutzzentrum sogar eine überdachte Fahrradstation mit Abstellanlage, Reparatursäule mit Luftpumpe und zwei abschließbaren Boxen, in denen E-Bike-Akkus und Smartphones aufgeladen werden können. Die Schlüssel gibt's während der Öffnungszeiten an der Rezeption.

Wenn du länger in der Gegend bleiben willst: Radolfzell ist nur wenige Kilometer entfernt und bietet diverse Übernachtungsmöglichkeiten. Auch Konstanz, die Insel Reichenau oder Bodman sind nicht weit. Der Mindelsee eignet sich aber auch hervorragend für einen kurzen Ausflug von zwei bis drei Stunden.

Respekt ist Pflicht

So viel Wildnis auf engem Raum ist ein Privileg – und verlangt nach Rücksicht. Bleib auf den ausgewiesenen Wegen, nimm deinen Müll wieder mit, und lass deinen Hund an der Leine. Gerade während der Brutzeit von März bis Juli ist Ruhe wichtig. Drohnen sind tabu, und pflücken darfst du hier sowieso nichts.

Die Arbeit des BUND am Mindelsee wurde übrigens mehrfach ausgezeichnet: 1987 erhielt das Naturschutzzentrum den Ehrentitel „Partner des Europäischen Umweltjahres", 1993 folgte der Europäische Umweltpreis. Das zeigt, dass vorbildlicher Naturschutz international Anerkennung findet.

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