Untersee mit Konstanz & Hegau

Ein Tag in Radolfzell: Zwischen Naturschutzgebiet und Münsterturm

Die Stadt hat ein mittelalterliches Herz, eine Halbinsel voller Natur und ziemlich viel Platz zum Durchatmen. Kein Rummel, dafür echter Bodensee-Charme.

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Zwischenablage

Radolfzell sitzt am nordwestlichen Zipfel des Untersees, dem kleineren, flacheren Teil des Bodensees. Die Altstadt schmiegt sich ans Ufer, dahinter breitet sich die Halbinsel Mettnau aus – ein Naturschutzgebiet, das fast wie ein grüner Finger in den See ragt. Mit knapp 32.000 Einwohnern ist Radolfzell nach Konstanz die zweitgrößte Stadt am deutschen Bodenseeufer, fühlt sich aber deutlich kleiner an. Das liegt auch daran, dass der Tourismus hier nie so durchgeschlagen hat wie anderswo am See.

Der Name geht auf den Heiligen Radolf zurück, einen fränkischen Bischof, der im 9. Jahrhundert hier ein Kloster gründete. Um dieses Kloster herum wuchs die Stadt, und noch heute prägt das Münster St. Maria das Stadtbild. Die Lage war strategisch klug gewählt: Wo der Bodensee schmaler wird, ließ sich Handel treiben und Einfluss ausüben. Später gehörte Radolfzell zu Vorderösterreich, dann zum Großherzogtum Baden – Geschichte, die man der Stadt noch heute ansieht.

Das Münster und die Altstadt

Das Münster Unserer Lieben Frau thront über der Altstadt, weithin sichtbar mit seinem achteckigen Turm aus dem 15. Jahrhundert. Innen überrascht die dreischiffige Basilika mit gotischen Gewölben und barocken Elementen – eine Mischung, die typisch ist für Kirchen, die über Jahrhunderte umgebaut wurden. Besonders sehenswert ist das spätgotische Sakramentshaus von 1513, filigran gearbeitet und fast sechs Meter hoch. An schönen Tagen fällt durch die bunten Fenster Licht auf die hellen Steinwände, dann wirkt der Innenraum fast luftig.

Rund ums Münster zieht sich die Altstadt mit ihren schmalen Gassen und Häusern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Obertor-, Schützen- und Seetorstraße bilden das historische Zentrum. Hier reihen sich Fachwerkhäuser aneinander, dazwischen Läden, Cafés und Restaurants. Der Marktplatz liegt gleich beim Münster und wird zweimal pro Woche zum Treffpunkt – mittwochs und samstags gibt's hier frisches Gemüse, Käse und Blumen aus der Region. Die Atmosphäre ist angenehm unaufgeregt, man kommt schnell ins Gespräch.

An der Seepromenade, nur ein paar Schritte von der Altstadt entfernt, beginnt die moderne Seite von Radolfzell. Der Hafen ist klein, aber funktional – ein paar Segelboote, der Anleger der Weißen Flotte, dazu ein Strandbad mit Liegewiese. Im Sommer kann man hier schwimmen, mit Blick auf die Schweizer Alpen am Horizont. Das Wasser ist sauber, wenn auch nicht immer warm. Wer's ruhiger mag, spaziert weiter Richtung Mettnau.

Die Mettnau – Naturschutz und Kurpark

Die Mettnau-Halbinsel ist das ökologische Herzstück von Radolfzell. Auf gut 220 Hektar erstreckt sich ein Mosaik aus Feuchtwiesen, Schilfgürteln, Streuobstwiesen und Wald. Ein großer Teil steht unter Naturschutz, was bedeutet: Wege nicht verlassen, Hunde an die Leine, Ruhe bewahren. Dafür wird man belohnt mit einer Artenvielfalt, die am Bodensee ihresgleichen sucht. Über 300 Vogelarten wurden hier schon gesichtet, darunter Eisvogel, Rohrweihe und im Winterhalbjahr tausende Wasservögel, die hier rasten.

Der Max-Eyth-See liegt mitten auf der Halbinsel und ist ein beliebter Spot für Vogelbeobachter. Ein Holzsteg führt zu einer Aussichtsplattform, von der aus man mit etwas Geduld Haubentaucher, Graureiher oder Kormorane sehen kann. Fernglas nicht vergessen. Im Frühjahr wird's richtig laut hier – das Quaken, Pfeifen und Trillern ist ohrenbetäubend, aber irgendwie auch schön.

Am südlichen Ende der Mettnau liegt der Kurpark, angelegt im 19. Jahrhundert, als Radolfzell sich als Kurort etablieren wollte. Alte Bäume, gepflegte Wege, ein paar Skulpturen – hier lässt sich gut flanieren. Die Mettnau-Klinik, eine Rehabilitationseinrichtung, nutzt das milde Seeklima und die ruhige Lage. Für Besucher ist vor allem der Rundweg um die Halbinsel interessant: etwa acht Kilometer, flach, mit ständigem Seeblick. An klaren Tagen sieht man bis zum Säntis in der Schweiz.

Hausboot-Museum und Stadtmuseum

Am Seeufer, direkt neben dem Hafen, liegt das Stadtmuseum im ehemaligen Kapuzinerkloster. Die Sammlung ist überschaubar, aber informativ. Schwerpunkte sind die Stadtgeschichte, das Leben am Bodensee und die Entwicklung der Region. Ein Raum widmet sich dem Radolfzeller Hausbau – einer lokalen Bautradition, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert gepflegt wurde. Die Ausstellung zeigt Modelle, Werkzeuge und Fotografien. Nicht spektakulär, aber solide gemacht.

Ungewöhnlicher ist das Hausboot-Museum, das in einem echten Hausboot am Radolfzeller Hafen untergebracht ist. Hier erfährst du alles über die Geschichte der Hausboote am Bodensee – vom improvisierten Wohnen auf dem Wasser bis zu modernen schwimmenden Domizilen. Die Besitzer haben das Boot selbst ausgebaut und führen persönlich durch die Räume. Man muss anmelden, aber es lohnt sich. Vor allem, weil man spürt, wie viel Leidenschaft dahintersteckt.

Radeln, Wandern, Wassersport

Radolfzell ist ein guter Ausgangspunkt für Radtouren rund um den Bodensee. Der Bodensee-Radweg führt direkt durch die Stadt, von hier aus sind es nur 14 Kilometer nach Konstanz oder 25 Kilometer nach Stein am Rhein. Die Strecke ist flach, gut ausgebaut und führt meist direkt am Ufer entlang. Wer lieber ins Hinterland will, fährt Richtung Hegau – eine hügelige Landschaft mit Vulkankegeln, Burgruinen und verschlafenen Dörfern. Der Hohentwiel bei Singen ist von Radolfzell aus in einer knappen Stunde zu erreichen, die Festungsruine oben bietet einen grandiosen Rundblick.

Zu Fuß lässt sich die Gegend ebenfalls gut erkunden. Der Premiumwanderweg "Hegauer Kegelspiel" führt in mehreren Etappen durch die Region, eine davon startet in Radolfzell. Auch der Bodensee-Rundwanderweg berührt die Stadt. Kürzere Spaziergänge gehen entlang der Radolfzeller Aach, einem kleinen Fluss, der bei Aach entspringt und hier in den See mündet. Das Flüsschen ist unauffällig, aber die Uferwege sind schattig und angenehm ruhig.

Wassersportler finden in Radolfzell alles, was das Herz begehrt: Segeln, Surfen, Stand-up-Paddling, Kanufahren. Der Untersee ist weniger befahren als der Obersee, die Wellen bleiben meist moderat. Einsteiger können sich an mehreren Stationen Equipment leihen und Kurse buchen. Wer selbst ein Boot hat, findet im Yachthafen Liegeplätze. Die Windverhältnisse sind etwas launisch – morgens meist Flaute, nachmittags kommt oft eine leichte Brise auf.

Essen und Trinken

Die Gastronomieszene in Radolfzell ist bodenständig, ohne große Experimente. Viele Restaurants setzen auf regionale Küche: Bodenseefelchen, Zander, Maultaschen, Wild aus dem Hegau. Die Fischgerichte sind meist frisch, schließlich wird direkt vor der Haustür gefangen. Ein Klassiker ist die "Seehalde" am Stadtrand – Terrasse mit Seeblick, solide Küche, faire Preise. Im Sommer kann's hier voll werden, also besser reservieren.

In der Altstadt gibt's kleinere Lokale, die oft von Einheimischen frequentiert werden – ein gutes Zeichen. Das "Zum Kranz" ist so ein Ort: rustikale Einrichtung, gutbürgerliche Küche, nette Bedienung. Die Portionen sind ordentlich, die Karte übersichtlich. Wer's vegetarisch oder vegan mag, findet im "Café am See" am Hafen eine gute Auswahl – von Bowls über Wraps bis zu Kuchen. Das Café ist auch ein beliebter Treffpunkt fürs Frühstück, mit Blick aufs Wasser sitzt man hier ziemlich gut.

Für einen Kaffee zwischendurch bietet sich die Altstadt an. Das "Café am Münster" hat eine kleine Terrasse mit Blick auf die Kirche, drinnen ist's eng, aber gemütlich. Die Kuchen werden selbst gebacken, schmecken aber eher durchschnittlich. Besser ist das Eis von der "Eisdiele Cortina" in der Obervorstadt – hier gibt's richtig cremige Sorten, im Sommer ist die Schlange entsprechend lang.

Praktische Infos

Radolfzell erreichst du mit dem Zug problemlos – die Linie Singen-Konstanz hält hier, von Konstanz sind's nur zwölf Minuten, von Singen etwa zehn. Der Bahnhof liegt einen knappen Kilometer vom Zentrum entfernt, zu Fuß in zehn Minuten machbar. Parkplätze gibt's am Hafen und am Stadtrand, in der Altstadt wird's eng. Wer mit dem Fahrrad anreist, findet überall Abstellmöglichkeiten.

Die Touristinformation sitzt direkt am Bahnhofsplatz und versorgt dich mit Karten, Prospekten und Tipps. Das Personal kennt sich aus und hilft auch bei der Unterkunftssuche. Hotels gibt's in allen Preisklassen, von einfachen Pensionen bis zum Vier-Sterne-Haus. Wer länger bleiben will, findet auch Ferienwohnungen, vor allem auf der Mettnau. Campingplätze liegen etwas außerhalb, am Untersee gibt's mehrere gute Optionen.

Die beste Reisezeit ist zwischen Mai und September, wenn das Wetter stabil ist und der See warm genug zum Schwimmen. Im Hochsommer kann's touristisch werden, aber verglichen mit Konstanz oder Meersburg bleibt Radolfzell entspannt. Auch der Herbst hat seinen Reiz – wenn sich die Bäume auf der Mettnau verfärben und die Zugvögel einfallen, ist die Stimmung besonders.

Ausflüge in die Umgebung

Von Radolfzell aus lassen sich zahlreiche Ziele am Bodensee ansteuern. Konstanz ist quasi um die Ecke – die größte Stadt am See bietet mehr Kultur, mehr Nachtleben und das berühmte Sea Life. Die Insel Reichenau, UNESCO-Welterbe wegen ihrer mittelalterlichen Kirchen, liegt nur wenige Kilometer entfernt und ist per Rad oder Auto schnell erreicht. Dort wachsen Salat, Tomaten und Gurken in Gewächshäusern – die Gemüseinsel eben.

Richtung Schweiz kommst du nach Stein am Rhein, einem bilderbuchhaften Städtchen mit bemalten Fassaden. Der Rheinfall bei Schaffhausen ist eine Stunde entfernt – der größte Wasserfall Europas donnert hier über Felsen, beeindruckend, aber auch völlig überlaufen. Wer lieber wandert, nimmt sich den Hegau vor: Der Hohentwiel, der Hohenstoffeln und die anderen Vulkankegel sind geologisch spannend und bieten tolle Ausblicke.

Auch die österreichische Seite des Bodensees ist nicht weit. Bregenz mit seiner Seebühne und dem Pfändermassiv liegt etwa 40 Kilometer entfernt, Lindau mit seiner Hafeneinfahrt und dem bayrischen Flair etwa 50. Radolfzell selbst mag klein sein, aber die Lage macht's – von hier aus erschließt sich die ganze Bodensee-Region.

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