Die Hafeneinfahrt von Lindau ist vermutlich das meistfotografierte Stück Bodenseeufer überhaupt. Links der Leuchtturm, rechts der Löwe, dazwischen die Ein- und Ausfahrt für Kursschiffe. Im Hintergrund, wenn das Wetter mitspielt, die Alpenkette. So ein Panorama findet man nicht überall, schon gar nicht in Bayern, das ja eigentlich bekannt ist für Berge und nicht für eine Seeinsel im Dreiländereck.
Dass ausgerechnet ein bayerischer Löwe hier am Wasser sitzt, hat historische Gründe. 1856 wurde die monumentale Sandsteinfigur fertiggestellt, geschaffen vom Münchner Professor Johann von Halbig. Die Statue besteht aus Kelheimer Sandstein und wiegt satte 50 Tonnen. Sechs Meter ragt sie in die Höhe, und wenn man genau hinschaut, erkennt man auf dem Sockel die römische Jahreszahl MDCCCLVI. Der Löwe blickt hinüber zum Schweizer Ufer – böse Zungen behaupten übrigens, dass er dabei sein Hinterteil bewusst in Richtung München ausrichtet. Ob das stimmt? Wer weiß.
Auf der Westseite der Hafeneinfahrt thront der sogenannte Neue Leuchtturm, der eigentlich gar nicht mehr so neu ist. 36 Meter hoch, mit einem Sockelumfang von 24 Metern und einer Uhr in der Fassade – was bei Leuchttürmen eher selten vorkommt. Er ging am 4. Oktober 1856 in Betrieb, also im selben Jahr wie der Löwe. Damals musste ein Leuchtfeuerwärter noch händisch das Ölfeuer in großen Pfannen unterhalten und bei Nebel die Glocke oder das Horn bedienen. Später wurde auf Petroleum umgestellt, dann auf Gas, und seit 1936 läuft alles elektrisch. Mittlerweile ist der Turm vollautomatisiert, das Feuer wird von den Schiffen bei Bedarf per Funk aktiviert.
139 Stufen zum besten Ausblick der Stadt
Wer die Aussichtsplattform des Leuchtturms erreichen will, muss 139 Stufen erklimmen. Das ist nicht ohne, aber auf den fünf Etagen gibt es immerhin Verschnaufpausen – und als Belohnung die Innenwände, die mit amüsanten Anekdoten und wissenswerten Fakten über Lindau und den Bodensee verziert sind. Oben angekommen erwartet dich dann ein Rundumblick, der seinesgleichen sucht: der Bodensee, die umliegenden Alpen, die Lindauer Altstadt mit ihren Türmen und Giebeln. Bei klarem Wetter sieht man bis weit nach Vorarlberg und in die Schweiz hinein.
Ein kleines Kuriosum am Rande: Die Hafenanlage gehörte früher der Deutschen Bahn, dann ging sie an die Stadtwerke Konstanz. Erst nach längeren Streitigkeiten kehrten Hafen, Löwe und Leuchtturm nach Bayern zurück. Seit 2010 „brüllt" der Löwe also wieder bayerisch – was auch immer das heißen mag.
Eine Insel, drei ehemalige Inseln
Lindau liegt auf einer Insel im östlichen Bodensee, etwa 68 Hektar groß – das entspricht ungefähr 95 Fußballfeldern. Ursprünglich waren es sogar drei separate Inseln, die im Laufe der Jahrhunderte durch Aufschüttungen zusammengewachsen sind. Mit dem Festland verbindet die Insel eine Brücke – die Landtorbrücke, die es schon seit dem 13. Jahrhundert gibt – und ein Eisenbahndamm, der 1854 errichtet wurde. Über diesen Damm führt die Allgäubahn, die letzte Etappe der Ludwig-Süd-Nord-Bahn, und heute ist der Damm vierspurig ausgebaut, inklusive einem viel genutzten Rad- und Fußweg.
Die Altstadt nimmt den großen östlichen Teil der Insel ein und steht komplett unter Ensembleschutz. Das hat seinen Grund: Hier haben sich Häuser aus Gotik, Renaissance und Barock erhalten, mittelalterliche Gassen, verwinkelte Plätze. Bei einem Brand 1728 wurde zwar der Stiftsbezirk und ein Teil der Altstadt zerstört, der Wiederaufbau erfolgte aber im prächtigen Barockstil. Viele Gebäude stehen heute noch in ihrer ursprünglichen Maßstäblichkeit, horizontal wie vertikal.
Die Maximilianstraße: Flanieren auf Kopfsteinpflaster
Wer auf der Insel unterwegs ist, kommt an ihr nicht vorbei: Die Maximilianstraße ist Lindaus Hauptschlagader, 230 Meter lang und bis zu 20 Meter breit. Seit 1973 ist sie Fußgängerzone, davor war sie Sitz der Zünfte und Zentrum des Handels. Man sollte beim Spaziergang nach unten schauen, denn das holprige Kopfsteinpflaster stammt aus dem Mittelalter. Man sollte zur Seite schauen, weil alle paar Meter kleine, eng verwinkelte Gassen abzweigen – manche tragen so urige Namen wie Zitronengässele oder Pfeiffergässele. Und man sollte nach oben schauen, denn die Patrizierhäuser mit ihren Giebelkränen, Dachgauben und kunstvollen Wand- und Deckenbemalungen erzählen die Geschichten ihrer ehemaligen Bewohner.
Früher hatte die Straße verschiedene Namen, je nachdem, welche Zunft dort ansässig war: Mezg (wo Metzger und Wurstmacher arbeiteten), Brodplatz und Alter Markt. Erst um 1815, neun Jahre nach der Eingemeindung Lindaus nach Bayern, wurde sie zur Maximilianstraße – nach Max I., dem ersten bayerischen König.
In der Maximilianstraße stehen einige der schönsten Gebäude der Stadt. Da ist zum Beispiel das Haus zum Sünfzen mit seinem vierbogigen Laubengang, erstmals 1358 urkundlich erwähnt. Bis 1815 war es Gemeinschaftshaus der Fernkaufleute. Ebenfalls sehenswert sind die Weinstube Frey, das Haus zum Bären und natürlich das farbenprächtige Alte Rathaus. Letzteres wurde zwischen 1422 und 1436 erbaut und 1496 zum Schauplatz eines Reichstags unter König Maximilian I. Die Fassade ist übersät mit historisierenden Malereien aus dem 19. Jahrhundert, die Szenen aus der Lindauer Geschichte zeigen. Besonders markant ist die große hölzerne Freitreppe, die zum Verkünder-Erker führt – von dort aus brachten die Stadtväter einst ihre Nachrichten unter das Volk.
Kirchen, Türme, alte Geschichten
Auf der kleinen Insel drängen sich gleich mehrere sehenswerte Kirchen. Das katholische Münster Unserer Lieben Frau am Marktplatz wurde nach dem Stadtbrand von 1728 neu errichtet und 1752 fertiggestellt. Es steht auf den Fundamenten der alten Stiftskirche, die auf das 9. Jahrhundert zurückgeht. Die Peterskirche gilt als das älteste Gotteshaus Lindaus und war bis 1180 die Pfarrkirche der Stadt. Im Inneren finden sich Fresken, die Hans Holbein dem Älteren zugeschrieben werden – sie zeigen Szenen der Passion Christi.
Der Mangturm, Lindaus alter Leuchtturm, steht direkt an der Seepromenade. Von 1180 bis 1856 diente er als Signal- und Beobachtungsturm, bevor der Neue Leuchtturm ihn ablöste. Der Name leitet sich vom ehemals nahen Manghaus ab, wo Stoffe gewalkt wurden. Mit seinem spitzen, buntglasierten Ziegelhelm aus dem 19. Jahrhundert ist er ein echter Hingucker. Heute finden in der Turmstube gelegentlich Märchenstunden statt – Rapunzel lässt grüßen.
Der Diebsturm am westlichen Ende der Altstadt wurde 1380 als Teil der Stadtbefestigung errichtet. Er gehörte zu einem Mauerzug, der einst die gesamte Insel umschloss. Zusammen mit der Peterskirche und der ehemaligen Glockengießerei bildet er ein wunderschönes mittelalterliches Ensemble.
Grün, grüner, Lindau
Lindau wird nicht umsonst als Garten- und Inselstadt bezeichnet. Im 19. Jahrhundert wurde damit begonnen, das Ufer der Insel aufzuschütten, wodurch ein Grüngürtel um die gesamte Altstadt entstand. Heute kannst du am See entlang rund um die Insel flanieren – durch den Stadtgarten, vorbei an der Inselhalle, zur ehemaligen Luitpoldkaserne und zum Pulverturm. Im Luitpoldpark steht seit 2019 der Ring for Peace, ein 7,5 Meter hohes hölzernes Kunstwerk in Form eines stehenden Möbiusbandes, entworfen vom Künstler Gisbert Baarmann.
Auch auf dem Festland gibt es beeindruckende Grünanlagen. Der Lindenhofpark in Bad Schachen ist perfekt zum Baden oder für eine Runde Stand-Up-Paddling. Das Lindenhofbad kostet keinen Eintritt, und von hier aus hast du einen tollen Blick auf die Lindauer Insel und das Alpenpanorama. Allerdings: Im Hochsommer sind die Parkplätze rar, und die Ordnungshüter verteilen gerne Strafzettel.
Von Klöstern, Kaufleuten und einer Reichsstadt
Der Name Lindau bedeutet „Insel, auf der Lindenbäume wachsen" und ist seit 882 urkundlich belegt. In jenem Jahr verfasste ein St. Galler Mönch eine Urkunde, die das auf der Insel bereits bestehende adlige Frauenkloster erwähnte. Der Legende nach soll das Stift um 800 von Graf Adalbert von Rätien gegründet worden sein, zum Dank für seine Rettung aus Seenot. An das Kloster erinnern heute noch das Münster und die benachbarten Gebäude, in denen Amtsgericht und Landratsamt untergebracht sind.
Neben den Nonnen lebten im 9. Jahrhundert Fischer auf der Insel, deren Siedlung im Gebiet der Peterskirche vermutet wird. Im 11. Jahrhundert verlegte das Kloster aus Sicherheitsgründen seinen Markt vom Festland auf die Insel, und zwischen Stift und Fischerdorf entstand eine aufblühende Kaufmannssiedlung. Spätestens seit dem 14. Jahrhundert verband eine Brücke die Insel mit dem Festland.
Lindaus Handelsbeziehungen nach Italien lassen sich seit dem 13. Jahrhundert nachweisen und bildeten bis ins 19. Jahrhundert eine wichtige Säule der Lindauer Wirtschaft. Wohl seit dem späten Mittelalter unterhielt die Stadt den „Mailänder Boten", der bis 1826 regelmäßig Nachrichten, Waren und Personen vom Bodensee durch das Rheintal und über die Bündner Pässe nach Oberitalien transportierte. Einmal in der Woche ritt der Reiter aus Lindau los, über die Via Mala und den Splügenpass, bis er in Mailand eintraf.
1528 wurde Lindau evangelisch, was die Stadt in konfessioneller Hinsicht zur Insel machte – die gesamte Umgebung blieb katholisch, ebenso das Damenstift auf der Insel selbst. 1647 kam es zur Belagerung Lindaus während des Dreißigjährigen Krieges, doch schwedische Truppen scheiterten am Widerstand der Bürger und der kaiserlichen Besatzung. Lindau blieb daher von Plünderungen verschont. Der Westfälische Friede 1648 garantierte der Stadt ihre politische und konfessionelle Eigenständigkeit.
1806 musste Österreich Lindau an Bayern abtreten – seitdem besitzt der Freistaat einen Zugang zum „Schwäbischen Meer". 1826 wurde das erste eiserne Dampfschiff auf dem Bodensee in Dienst gestellt, die „Ludwig". 1854 erreichte die Eisenbahn über den neu errichteten Damm die Inselstadt, und 1856 wurde der neue Seehafen als Schnittstelle für Dampfschifffahrt und Eisenbahn fertiggestellt.
Nobelpreise und mediterrane Atmosphäre
Seit 1951 treffen sich in Lindau jedes Jahr Nobelpreisträger mit Nachwuchswissenschaftlern aus der ganzen Welt. Weltweites Aufsehen erregte die Lindauer Nobelpreisträgertagung 1955 durch die Verabschiedung der gegen den Einsatz von Atomwaffen gerichteten „Mainau Declaration", die von Otto Hahn, Max Born, Werner Heisenberg, Linus Pauling und 14 weiteren Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde. Heute ist die Tagung ein fester Bestandteil des wissenschaftlichen Kalenders, und in der Stadt verteilt stehen 21 Wissenspylone, die naturwissenschaftliche Phänomene erklären – 15 davon auf der Insel, 3 auf dem Festland und 3 auf der Insel Mainau.
Wer durch Lindau spaziert, hat oft das Gefühl, in Italien zu sein. Das liegt nicht nur am milden Klima – am Bodensee wachsen tatsächlich Palmen –, sondern auch an der Architektur, der Lebensart, dem Licht. Nicht umsonst wird Lindau gerne als „Bayerische Riviera" bezeichnet. Die mittelalterlichen Gassen, die barocken Häuser, die verwunschenen Plätze – all das verleiht der Stadt ein fast südländisches Flair.