Ostufer mit Lindau & Bregenz

Das Alte Rathaus in Lindau: Gotisches Prunkstück, wo einst Kaiser Maximilian tagte

Prächtig bemalt, gotisch gewachsen, voller Geschichten: Das Alte Rathaus steht seit 1436 im Herzen der Lindauer Insel. Hier tagte einst ein Kaiser, hier findet bis heute das Kinderfest seinen Höhepunkt. Ein Gebäude zum Entdecken.

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Zwischenablage

Manchmal steht man einfach da und staunt. Das Alte Rathaus in Lindau ist so ein Moment. Mitten in der Maximilianstraße thront der Bau, farbenfroh bemalt, mit steilen Giebeln und einer großen hölzernen Außentreppe. Die führt direkt zum Bismarckplatz hinauf, als wolle sie jeden Besucher persönlich einladen. Und genau das tut sie auch – denn dieses Rathaus hat Geschichten zu erzählen, die weit über normale Stadtgeschichte hinausgehen.

Als Lindau Reichsstadt wurde

Der Bau des Alten Rathauses beginnt 1422. Vierzehn Jahre dauern die Arbeiten am gotischen Gebäude, bis es 1436 fertiggestellt ist. Warum so ein Prachtbau? Nun, seit 1396 ist Lindau Freie Reichsstadt, und das will man zeigen. Die Stadt stand direkt unter dem Kaiser, niemandem sonst verpflichtet – das war damals schon was. An der Stelle eines Rebgartens entsteht das neue Rathaus, dort wo vorher Wein angebaut wurde. Ein sichtbares Zeichen für die neue politische Stellung der Stadt am Bodensee.

Das Gebäude ist von Anfang an kein bescheidenes Verwaltungsgebäude. Im Obergeschoss liegt der holzgetäfelte Ratssaal, darunter eine Markthalle. Hier pulsiert das Leben der Reichsstadt, hier werden Entscheidungen getroffen, die für die Menschen auf der Insel wichtig sind. Und schon bald sollte dieser Saal zum Schauplatz eines historischen Moments werden.

Wenn der Kaiser zum Reichstag ruft

1496 ist es soweit: König Maximilian I. beruft einen Reichstag nach Lindau ein. Eine Versammlung von Reichsfürsten und Reichsstädten tagt im Rathaus – politische Prominenz, wie man heute sagen würde. Das muss man sich mal vorstellen: In diesem nicht besonders großen Raum diskutieren die Mächtigen des Heiligen Römischen Reiches über die Zukunft. Maximilian selbst kommt allerdings nicht. Er führt gerade Krieg in Italien und lässt sich von seinem Sohn Philipp vertreten, dem Herzog von Burgund.

Der Reichstag dauert von August 1496 bis Februar 1497 und ist – historisch betrachtet – nicht besonders erfolgreich. Die Reichsstände verweigern Maximilian die versprochene Unterstützung für seinen Italienfeldzug. Der muss unverrichteter Dinge umkehren. Trotzdem, oder gerade deswegen, bleibt dieser Reichstag im Gedächtnis der Stadt. Auf der Südfassade des Rathauses ist heute ein Fresko zu sehen, das den Einzug Herzog Philipps in Lindau zeigt. Ein bisschen Eigenwerbung hat noch keiner Stadt geschadet.

Renaissance-Umbau und Glocken aus dem 17. Jahrhundert

Das Rathaus bleibt nicht unverändert. 1576 wird es mit einem Treppengiebel im Renaissance-Stil umgebaut – die Gotik allein genügt den Lindauern offenbar nicht mehr. Die Glocken an der Spitze des Giebels tragen die Jahreszahl 1617. Auch im 16. und 17. Jahrhundert gibt es weitere Veränderungen am Bau, Details, die sich über die Jahrhunderte summieren. Von 1706 bis 1717 entsteht direkt daneben das Neue Rathaus als Erweiterung. Doch das Alte bleibt das Herzstück, der Hingucker.

Im 19. Jahrhundert bekommt das Gebäude seine heute sichtbare Gestalt. Die Südfront wird üppig historisierend bemalt – Szenen aus der Lindauer Geschichte überziehen die Fassade. Und wer hat's gemacht? Friedrich von Thiersch, der Münchner Architekt, der zwischen 1885 und 1887 das Rathaus renoviert. Thiersch ist in Lindau kein Unbekannter, er hat auch die Christuskirche in Aeschach entworfen und wurde 1888 Ehrenbürger der Stadt. Seine Frau stammt aus Lindau, das erklärt die enge Verbindung.

Fassadenmalereien – was man darauf sieht

Die Malereien sind das Erste, was ins Auge springt. Bunt, detailreich, ein bisschen überwältigend. Auf der Südseite, die zum See hin zeigt, ist unter anderem der Einzug Herzog Philipps von Burgund zu sehen. Aber auch Lindenbäume, Landwirte, Fischer tauchen auf – Motive, die Wilhelm Nida-Rümelin 1930 neu gestaltet hat. Damals gab es übrigens einen kleinen Skandal: Nida-Rümelin malte auch einen Totentanz und den Kampf zwischen Himmel und Erde, dargestellt als Skelett und nackte Frau. Die Bayerische Volkspartei war empört und forderte die sofortige Entfernung der "erotischen Szene". So viel zur Kunstfreiheit im Jahr 1930.

Die Fassadenmalereien wurden zwischen 1972 und 1975 nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts erneuert. Sie erzählen von Lindaus Vergangenheit als Handelsstadt, als Reichsstadt, als Ort, der stolz auf seine Geschichte ist. Auf der Nordseite, zum Bismarckplatz hin, führt die große überdachte Holztreppe hoch. Sie mündet in einen Erker, den sogenannten Verkünder-Erker. Von dort aus verkündeten die Stadtoberen früher ihre Beschlüsse und Verordnungen. Praktisch, wenn man keine Zeitung hat. Auf den Bildflächen des Erkers sind die Zehn Gebote dargestellt – eine Erinnerung daran, dass Politik und Religion damals eng verzahnt waren.

Wenn die Kinder zum Rathaus ziehen

Jeden Sommer, am letzten Mittwoch vor den bayerischen Ferien, verwandelt sich der Bismarckplatz vor dem Alten Rathaus in ein Meer aus Blumen, Fahnen und fröhlichen Kindergesichtern. Das Lindauer Kinderfest ist tief in der Stadtgeschichte verwurzelt, und seinen Höhepunkt findet es hier, vor dem Rathaus. Die Tradition geht zurück bis ins Jahr 1655. Damals führte Valentin Heider, Vorsitzender des Schulrats und Stadtsyndikus, sogenannte Schulpredigten ein. Die richteten sich an die Eltern, erinnerten sie an ihre Erziehungspflichten und die Wichtigkeit des Schulbesuchs. Klingt streng, war es wohl auch.

Aber nach dem Dreißigjährigen Krieg, nachdem die Schweden 1646/47 die Stadt belagert hatten, wollten die Lindauer auch wieder feiern. Heider hatte Lindau und andere Städte bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück vertreten und der Stadt ihre Rechte als Freie Reichsstadt zurückgebracht. Grund genug zum Feiern. Seit 1662 sind die typischen Elemente des Kinderfests dokumentiert: das Wecken um sechs Uhr morgens mit Böllerschüssen, der Festgottesdienst, der Umzug mit blumenbekränzten Mädchen, die Ausgabe von Butschellen – einem süßen Rosinengebäck.

Bis heute marschieren die Kinder aus allen Stadtteilen zur Insel, ziehen durch die Gassen und versammeln sich vor dem Alten Rathaus. Um halb zehn hält der Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin die Ansprache vom Balkon herab – genau dort, wo früher die Verkündungen erfolgten. Dann erklingt das Kinderfestlied "Lindau hoch", gesungen von Hunderten Kinderstimmen. Wer das einmal erlebt hat, versteht, warum dieses Fest für die Lindauer so wichtig ist.

Was man heute sieht – und was nicht

Das Alte Rathaus steht noch immer mitten auf dem früheren Reichsplatz, auch wenn der Platz inzwischen von den Rändern her überbaut wurde. Die Hauptfassade schaut Richtung Hafen, die große Holztreppe zur Hauptstraße hin. Das Gebäude ist ein freistehender Bau mit Treppengiebeln, wie es sich für ein gotisches Rathaus gehört. Denkmalgeschützt ist es natürlich auch.

Für die Öffentlichkeit sind die Räume leider nicht zugänglich. Der Stadtrat und die Ausschüsse nutzen den Ratssaal noch heute für Sitzungen, und auch Empfänge finden hier statt. Von Juni bis Oktober gibt es aber Führungen – donnerstags, samstags und sonntags. Die dauern eine Stunde und kosten zehn Euro für Erwachsene, fünf für Kinder. Tickets bekommst du online auf der Website der Stadt oder direkt in der Tourist-Information. Die Führungen sind beliebt, also früh buchen.

Wer keine Führung mitmacht, sollte zumindest einmal ums Gebäude herumgehen. Die Rückseite ist mindestens genauso spannend wie die Vorderseite. Dort findest du weitere Bilderfriese und eine historische Sonnenuhr. Auch der Eingang zur Ehemals Reichsstädtischen Bibliothek liegt auf der Südseite. Die Bibliothek ist seit 1952 in der ehemaligen Markthalle untergebracht und birgt wertvolle historische Bestände.

Ein Blick in die Vorhalle

Bei den Führungen wirft man auch einen Blick in die Vorhalle. Dort hängen zahlreiche Porträts – ausschließlich Männer, wie man schnell feststellt. Frauen suchst du vergeblich. Das war damals eben so. Im großen Saal, wo der Reichstag tagte, kann man die holzgetäfelten Wände sehen und aus den Fenstern auf den Reichsplatz blicken. Man spürt die Geschichte, die in diesen Räumen steckt.

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