Thurgau & Ostschweiz

Stein am Rhein: Die mittelalterliche Stadt, die zu schön ist, um wahr zu sein

Mittelalterliche Gassen, prächtig bemalte Fassaden und ein Marktplatz wie aus dem Bilderbuch – Stein am Rhein wirkt fast unwirklich perfekt. Das kleine Städtchen am Ausfluss des Rheins aus dem Untersee bewahrt eine Atmosphäre, die andernorts längst verschwunden ist. Und die Fassadenmalereien? Die gehören tatsächlich zu den schönsten nördlich der Alpen.

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Zwischenablage

Stein am Rhein liegt dort, wo der Rhein den Untersee verlässt und sich als Hochrhein westwärts schlängelt. Das Städtchen mit seinen knapp 3.500 Einwohnern gehört zum Kanton Schaffhausen, auch wenn man geografisch schon in Thurgau wäre. Die Altstadt selbst ist so kompakt, dass man sie in einer halben Stunde durchqueren könnte – würde man nicht alle paar Meter stehen bleiben, um nach oben zu schauen.

Denn genau da spielt sich die eigentliche Attraktion ab: an den Hausfassaden. Kaum eine andere Stadt in der Region kann mit einer solchen Dichte an bemalten Fassaden aufwarten. Viele stammen aus dem 16. Jahrhundert, manche wurden im 19. Jahrhundert erneuert oder ergänzt, aber das Gesamtbild bleibt einzigartig. Die Motive reichen von biblischen Szenen über mythologische Figuren bis hin zu Zunftwappen und allegorischen Darstellungen. Mal prachtvoll detailliert, mal eher schlicht – aber immer mit einer Farbkraft, die man so nicht erwartet hätte.

Der Rathausplatz: Herzstück und Postkartenmotiv

Der Rathausplatz bildet das Zentrum der Altstadt und ist gleichzeitig ihr schönstes Ensemble. Hier reiht sich ein bemaltes Haus ans andere, als hätte jemand ein mittelalterliches Märchenbuch aufgeschlagen und die Seiten in die Realität gekippt. Das Rathaus selbst, ein spätgotischer Bau aus dem frühen 16. Jahrhundert, trägt Fresken mit Szenen aus der Geschichte und der Rechtsprechung. Die Fassade des "Weissen Adler" zeigt einen prächtigen Adler samt Wappen, während das "Haus zum Steinernen Trauben" – man ahnt es schon – mit Weinreben und Trauben verziert ist.

Was beim ersten Anblick auffällt: Die Farben sind erstaunlich gut erhalten. Manche Fassaden wurden natürlich restauriert, aber die Pflege erfolgte mit Bedacht. Hier hat niemand wild überstrichen oder modernisiert, sondern man hat sich bemüht, den ursprünglichen Charakter zu bewahren. An einem sonnigen Vormittag, wenn das Licht schräg über den Platz fällt, leuchten die Ockertöne, Rottöne und Grüntöne besonders intensiv. Touristen zücken dann reihenweise ihre Kameras – verständlich.

Geschichte in Schichten: Von der Römerzeit bis heute

Stein am Rhein wurde schon in römischer Zeit besiedelt, damals unter dem Namen "Tasgetium". Die strategische Lage am Rheinübergang machte den Ort früh wichtig. Im Mittelalter entwickelte sich die Stadt zum Handelszentrum, vor allem wegen der Schifffahrt auf dem Rhein. Die Benediktinerabtei St. Georgen, die im 11. Jahrhundert gegründet wurde, trug ebenfalls zur Bedeutung bei. Später, im 15. und 16. Jahrhundert, erlebte Stein eine Blütezeit – und genau aus dieser Zeit stammen viele der bemalten Fassaden.

Interessant ist dabei, dass die Fassadenmalereien nicht nur Dekoration waren. Sie dienten auch als Statussymbol und als Ausdruck bürgerlichen Selbstbewusstseins. Wer es sich leisten konnte, schmückte sein Haus mit aufwendigen Fresken. Gleichzeitig transportierten die Bilder oft moralische oder religiöse Botschaften – eine Art öffentliche Bildungsvermittlung, wenn man so will. Manche Häuser tragen noch heute die Namen, die ihnen ihre Malereien gaben: "Zum roten Ochsen", "Zur Sonne" oder "Zum schwarzen Horn".

Die schönsten Häuser im Detail

Neben dem Rathaus gibt es weitere Prunkstücke, die man sich genauer anschauen sollte. Das "Haus zum Weissen Adler" am Rathausplatz zeigt nicht nur den namensgebenden Adler, sondern auch eine Reihe kleinerer Medaillons mit Porträts. Die Farbgebung ist besonders harmonisch, mit sanften Übergängen zwischen den einzelnen Bildfeldern.

Ein paar Schritte weiter steht das "Haus zum Steinbock", dessen Fassade mit mythologischen Szenen und einem wuchtigen Steinbock geschmückt ist. Die Malereien hier wirken kraftvoller, fast schon dramatisch – ein starker Kontrast zu den eher zarten Darstellungen anderer Häuser. Auch das "Haus zur Sonne" lohnt den Blick: Hier dominieren warme Gelbtöne, und die Sonnendarstellung im oberen Bereich strahlt förmlich über die Fassade hinweg.

Spannend ist, dass nicht alle Häuser sofort ihre Malereien preisgeben. Manche Motive sind verwittert oder nur noch schemenhaft zu erkennen. Aber gerade das verleiht ihnen einen gewissen Charme – als würde die Geschichte langsam durch die Farbschichten hindurchschimmern.

Kloster St. Georgen: Romanik trifft Renaissance

Das ehemalige Benediktinerkloster St. Georgen liegt etwas abseits des Rathausplatzes, ist aber auf jeden Fall einen Besuch wert. Die Klosteranlage wurde im 11. Jahrhundert gegründet und im 16. Jahrhundert, nach der Reformation, aufgelöst. Heute beherbergt sie ein Museum, das sich der Klostergeschichte und der Stadtgeschichte widmet.

Die Klosterkirche selbst ist ein beeindruckendes Beispiel romanischer Baukunst, mit strengen Linien und einem schlichten Innenraum, der durch seine Akustik besticht. Im Festsaal des Klosters finden sich prächtige Holzdecken und Wandmalereien aus der Zeit um 1500 – hier wird's richtig prunkvoll. Die Darstellungen zeigen Szenen aus der Bibel, aber auch weltliche Motive wie Jagdszenen oder Festbankette. Wer sich für mittelalterliche Kunst interessiert, kommt hier voll auf seine Kosten.

Das Museum ist überschaubar, aber gut gemacht. Man erfährt einiges über das klösterliche Leben, die Wirtschaft der Region und die Entwicklung der Stadt. Auch einige originale Artefakte sind ausgestellt, darunter mittelalterliche Handschriften und liturgische Geräte. Eintritt kostet um die 10 Franken, Kinder zahlen weniger.

Flanieren, Einkehren, Verweilen

Stein am Rhein ist klein genug, um gemütlich zu Fuss erkundet zu werden. Die meisten Besucher konzentrieren sich auf den Rathausplatz, aber es lohnt sich, auch die Seitengassen abzuklappern. In der Understadt, der Unterstadt, finden sich weitere bemalte Häuser, meist etwas schlichter, aber nicht weniger reizvoll. Hier wird's ruhiger, und man hat die Gassen manchmal fast für sich allein.

Cafés und Restaurants gibt es zuhauf, vor allem rund um den Rathausplatz. Im Sommer stehen die Tische draussen, und man kann bei einem Kaffee oder einem Glas Wein das Treiben beobachten. Die Preise sind schweizerisch – also nicht gerade günstig –, aber die Lage entschädigt. Wer's authentischer mag, sucht sich eines der kleineren Lokale in den Nebenstrassen. Dort bekommt man oft solide Schweizer Küche zu etwas moderateren Preisen.

An Markttagen – die finden regelmässig statt – wird's lebendiger. Dann stehen Stände auf dem Rathausplatz, und die Einheimischen kommen zum Einkaufen. Das ist eine gute Gelegenheit, um regionale Produkte zu probieren: Käse, Wurst, frisches Brot oder Obst aus der Umgebung. Nebenbei bekommt man auch mit, wie das Leben hier abseits des Tourismus läuft.

Rheinufer und Umgebung: Mehr als nur Altstadt

Wer genug von bemalten Fassaden hat – was ehrlich gesagt schwer vorstellbar ist –, kann sich ans Rheinufer setzen. Der Fluss fliesst hier breit und ruhig, im Sommer sieht man gelegentlich Schwäne oder Enten. Es gibt Bänke und kleine Grünflächen, ideal für eine Pause. Von hier aus hat man auch einen schönen Blick auf die gegenüberliegende Seite und auf die Hügel dahinter.

Die Burg Hohenklingen thront oberhalb der Stadt auf einem Hügel und ist über einen Fussweg erreichbar. Der Aufstieg dauert etwa eine halbe Stunde, ist aber nicht besonders anspruchsvoll. Oben angekommen, wird man mit einem Panoramablick über die Altstadt, den Rhein und den Untersee belohnt. Die Burg selbst stammt aus dem Mittelalter und beherbergt heute ein Restaurant – für eine Pause also bestens geeignet.

Auch die Insel Werd, ein kleines bewaldetes Eiland im Rhein, lässt sich von Stein aus gut erreichen. Im Sommer verkehrt eine Fähre, die Überfahrt dauert nur wenige Minuten. Auf der Insel steht ein Franziskanerkloster, das noch heute bewohnt ist. Man kann die Klosterkirche besichtigen, ansonsten ist die Insel vor allem ein ruhiger Ort zum Spazieren.

Praktisches: Anreise, Parken, beste Reisezeit

Stein am Rhein liegt verkehrsgünstig zwischen Schaffhausen und Konstanz. Mit dem Auto erreicht man die Stadt über die A4 oder über Landstrassen entlang des Rheins. Parken kann allerdings zur Herausforderung werden, besonders an Wochenenden und in der Hochsaison. Es gibt Parkplätze am Stadtrand, von dort läuft man etwa zehn Minuten in die Altstadt. Alternativ kann man mit dem Zug anreisen – die Bahnstation liegt direkt am Rande der Altstadt, praktischer geht's kaum.

Von Konstanz oder Schaffhausen aus gibt es auch Schiffsverbindungen. Eine Anreise über den Rhein hat ihren Reiz, gerade an einem sonnigen Tag. Die Fahrt dauert je nach Ausgangspunkt zwischen einer und zwei Stunden, aber die Aussicht auf die Landschaft und die kleinen Orte entlang des Ufers entschädigt.

Die beste Reisezeit? Definitiv Frühling bis Herbst. Im Sommer kann's allerdings voll werden – Stein am Rhein ist kein Geheimtipp mehr. Wer die Stadt in Ruhe geniessen möchte, kommt besser unter der Woche oder im Frühling, wenn die Touristenströme noch überschaubar sind. Im Winter hat die Stadt einen ganz eigenen Charme, vor allem wenn Schnee liegt und die bemalten Fassaden vor weissem Hintergrund leuchten. Viele Touristen kommen dann aber nicht, was durchaus angenehm sein kann.

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