Der Hohentwiel ist ein Berg, der sich was traut. Während rundherum die sanften Hügel des Hegau in der Landschaft dösen, schießt dieser Phonolith-Schlotpfropfen steil in die Höhe und reckt seine neun Hektar Festungsruine dem Himmel entgegen. Mit dieser Fläche zählt die Anlage zu den größten Festungsruinen Deutschlands. Kein Wunder, dass die Aussicht von hier oben oft als die schönste des ganzen Bundeslandes gehandelt wird. Von den historischen Mauern schweift dein Blick über die Stadt Singen hinweg zum Bodensee, streift die charakteristischen Kegel der Hegauvulkane und kommt schließlich an der Alpenkette zur Ruhe.
Was du heute siehst, ist freilich nur noch das Skelett einer einstmals gewaltigen Anlage. Napoleon persönlich soll 1800 die Schleifung befohlen haben, nachdem die Festung kampflos kapituliert hatte. Paradox eigentlich: Jahrhundertelang galt der Hohentwiel als unbezwingbar, dann kam der Franzosenkaiser mit seiner Grande Armée, und die Kommandanten unterschrieben schon um 23 Uhr im Singener Pfarrhaus die Kapitulation.
Vulkanisches Erbe und natürliche Festung
Vor neun Millionen Jahren war der Hegau eine Landschaft voller aktiver Vulkane. Das empordringende Magma erkaltete irgendwann und wurde hart wie Granit. In den Eiszeiten fraßen sich Gletscher und Erosion durch das weichere Tuffgestein drumherum, bis nur noch der phonolithische Kern stehen blieb. Er steckte im ehemaligen Vulkankrater wie ein Korken in der Weinflasche, könnte man sagen. Dieser natürliche Schutzwall macht den Berg bis heute zu einem idealen Festungsstandort.
Heute ist das gesamte Gelände Naturschutzgebiet. Auf den sonnigen Steilhängen gedeihen mediterrane Pflanzen, die man hier nicht erwarten würde. Falken, Kolkraben, Schmetterlinge sowie bedrohte Bienen- und Heuschreckenarten finden in den Mauerritzen und auf den Wiesen einen Lebensraum. Wer im Frühjahr kommt, sieht die Felsen in ungewöhnlichen Farben leuchten.
Von Herzögen, Rittern und württembergischem Eigensinn
Erstmals erwähnt wird die Befestigung auf dem Hohentwiel im Jahr 915. Die schwäbischen Herzöge hatten hier oben ihre Residenz, Herzog Burkhard III. und seine Frau Hadwig bauten die Anlage im 10. Jahrhundert zu einem glanzvollen Sitz aus. Später ging der Hohentwiel durch die Hände verschiedener Adelsfamilien, darunter die Zähringer und die Klingenberger.
Spannend wurde es ab dem 16. Jahrhundert. Der Hohentwiel war württembergische Enklave in vorderösterreichischem Gebiet, also eine Art Insel mitten im Territorium der Habsburger. Herzog Ulrich von Württemberg erkannte die strategische Bedeutung und ließ die Burg zur modernen Landesfestung ausbauen. Was folgte, waren Jahrhunderte voller politischer Ränkespiele, Belagerungen und erstaunlicher Widerstandskraft.
Konrad Widerholt und die Kunst des Überlebens
Wenn es einen Mann gibt, dessen Name untrennbar mit dem Hohentwiel verbunden ist, dann ist es Konrad Widerholt. Geboren 1598 in Ziegenhain bei Treysa, machte dieser Hesse im Dreißigjährigen Krieg Karriere. Über Dienste bei der Hanse und in Venedig gelangte er schließlich nach Württemberg. 1634 wurde er Kommandant der Festung Hohentwiel.
Und dann begann sein Meisterstück. Widerholt verteidigte die Festung gegen fünf Belagerungen. Seine Methoden waren allerdings nicht zimperlich. Er unternahm Raubzüge in die Umgebung, um die Versorgung der Burganlage zu sichern. Umliegende Städte, Dörfer und Klöster wurden zur Zahlung von Kontributionen gezwungen. Im Krieg zahlten 90 Herrschaften Abgaben an den Hohentwiel-Kommandanten. Was für die einen als Heldentat galt, war für die anderen schlichtweg Räuberei.
Dabei war Widerholt mehr als nur ein raubeiniger Kriegsmann. Er ließ eine horizontale Windmühle auf dem Hohentwiel bauen, also ein Windkraftwerk, das von der Windrichtung unabhängig arbeitet. Diese Technik hatte er vermutlich in Venedig kennengelernt. Außerdem ließ der streng protestantische Kommandant die erste evangelische Kirche im Hegau auf der Festung errichten.
Nach dem Westfälischen Frieden 1648 erhielt Widerholt das Rittergut Neidlingen als Lehen und wurde Obervogt in Kirchheim unter Teck. Dort starb er 1667 als wohlhabender Mann. Sein Vermögen stammte allerdings nicht nur aus seinen Ämtern, sondern hauptsächlich aus der Beute seiner Kriegszüge.
Vom Staatsgefängnis zur romantischen Ruine
Im 18. Jahrhundert erlebte die Festung eine weniger rühmliche Phase. Sie wurde zum württembergischen Staatsgefängnis umfunktioniert. Politische Gefangene saßen hier in den Kasematten und blickten durch Gitterfenster auf den Bodensee.
1800 kam das Ende der militärischen Nutzung. Als die Franzosen im Zuge der Revolutionskriege in den Hegau einmarschierten, kapitulierten die Kommandanten Bilfinger und Wolf fast ohne Gegenwehr. Die Bedingung war, dass die Festung nicht zerstört werden sollte. Napoleon kümmerte das wenig. Er befahl die Schleifung, und seitdem ist der Hohentwiel eine Ruine.
Was militärisch das Ende bedeutete, war kulturell ein Neuanfang. In der Romantik entdeckten Dichter und Maler die verfallenen Mauern für sich. Joseph Viktor von Scheffel verarbeitete 1855 die Geschichte um die Herzogin Hadwig und den Mönch Ekkehard zu einem dramatischen Liebesroman, der zum Bestseller wurde. Sogar Reichskanzler Otto von Bismarck zählte das Buch zu seinen Favoriten. Bis heute erinnert ein Bronzemedaillon auf der Festung an Scheffel.
Was dich heute erwartet
Der Aufstieg zur Festung ist kein Spaziergang. Du startest beim Informationszentrum auf halber Höhe, das in der alten Remise der Domäne untergebracht ist. Dort gibt's eine Dauerausstellung mit einem detailgetreuen Modell der Festung, wie sie im 18. Jahrhundert ausgesehen hat, also vor der Zerstörung.
Von dort führt dich der Weg bergauf durch mehrere Verteidigungsebenen. Zuerst passierst du das Alexandertor, dann geht's weiter zur Oberburg mit dem Fürstlichen Haus und den Kasernenruinen. Der Kirchturm markiert den höchsten Punkt. Die Festung baut sich in mehreren Etagen auf, geschützt einerseits von steil abfallenden Felsen, andererseits durch die massiven Mauern und Bastionen.
Oben angekommen, verstehst du, warum die Festung so lange uneinnehmbar blieb. Die Verteidigungsmauern und Kasematten, die mächtigen Turmstümpfe und die großen Häuserruinen vermitteln noch immer einen Eindruck davon, was für ein Bollwerk das gewesen sein muss. Für Kinder sind die geheimnisvollen Mauern, die vielen Treppen und Schlupfwinkel ein einziges Abenteuer.
Und dann ist da natürlich der Ausblick. Im Norden siehst du die anderen Hegauvulkane, Hohenkrähen, Mägdeberg und Hohenstoffeln ragen aus der Landschaft. Im Osten glitzert der Bodensee, dahinter türmen sich die Alpen auf. An klaren Tagen reicht der Blick bis zum Säntis und zu den Berner Alpen. Im Süden liegt die Schweiz zum Greifen nah.
Praktische Tipps für den Besuch
Von April bis Mitte September ist die Festung täglich von 9 bis 19.30 Uhr geöffnet, der letzte Einlass ist jeweils eine Stunde vor Schließung. In der Wintersaison gelten kürzere Öffnungszeiten, und montags bleibt die Anlage dann geschlossen. Der Eintritt kostet für Erwachsene 4,50 Euro, ermäßigt 2,30 Euro, Familien zahlen 11,30 Euro. Mit der Bodensee Card Plus oder der Schlosscard kommst du kostenlos rein.
Eintrittskarten gibt's im Informationszentrum in der alten Scheune. Dort kannst du dir auch die App "Monumente 3D" herunterladen, mit der du die Festung virtuell in verschiedenen historischen Zuständen erkunden kannst. Ziemlich cool gemacht, muss man sagen.
Für den Aufstieg solltest du festes Schuhwerk anziehen. Die Wege sind teilweise steil und uneben, bei Nässe kann's rutschig werden. Plane mindestens zwei bis drei Stunden ein, wenn du die Anlage in Ruhe erkunden willst. Trinkwasser und ein bisschen Proviant schaden nicht, oben gibt's nämlich keine Gastronomie.
Wer mag, kann den Besuch mit einer Wanderung verbinden. Der Vulkanpfad startet beim Infozentrum und führt dich in etwa zwei Stunden durch die charakteristische Landschaft des Hegaus. Der Premium-Weg zum benachbarten Stauffen und zurück ist etwas länger, lohnt sich aber für alle, die mehr von der Vulkanlandschaft sehen wollen.
Die Festung im Jahresverlauf
Jede Jahreszeit hat ihren Reiz auf dem Hohentwiel. Im Frühjahr blühen die Wiesen, und die Luft ist noch frisch. Der Sommer bringt viele Besucher und oft ein Festival mit Konzerten in der Ruine. Im Herbst färbt sich das Laub der umliegenden Wälder, und die Fernsicht ist oft am besten. Wer die Festung im Winter besucht, erlebt die Stille und kann erahnen, wie hart das Leben hier oben früher gewesen sein muss.
Ein echter Geheimtipp ist übrigens der frühe Morgen. Wenn die Sonne gerade über dem Bodensee aufgeht und die Nebelschwaden im Tal hängen, hat die Ruine eine fast mystische Atmosphäre. Dann hast du die Anlage oft ganz für dich allein.
Anfahrt und Parken
Singen liegt verkehrsgünstig an der Bahnlinie zwischen Stuttgart und Zürich. Vom Bahnhof Singen sind es etwa drei Kilometer bis zum Parkplatz unterhalb des Informationszentrums. Mit dem Auto erreichst du die Festung über die A81, Ausfahrt Singen. Direkt an der Festung gibt's begrenzte Parkmöglichkeiten, an Wochenenden kann's eng werden.
Öffentliche Verkehrsmittel sind eine gute Alternative. Mit dem VHB-Ticket kannst du im gesamten Landkreis Konstanz kostenlos fahren. Von Singen gibt's Busverbindungen, die dich bis zum Fuß des Berges bringen.
Lohnt sich das?
Ja. Eindeutig ja. Der Hohentwiel ist kein Disneyland-Schloss mit perfekt restaurierten Sälen und Audioguides auf zehn Sprachen. Es ist eine echte Ruine, wild und ehrlich. Die Mauern erzählen von Belagerungen und Widerstand, von Herzögen und Gefangenen, von technischen Pionieren und skrupellosen Kriegsherren. Und wenn du oben stehst und die Weite siehst, verstehst du, warum Menschen hier jahrhundertelang um diesen Felsen gekämpft haben.
Für Geschichtsinteressierte ist die Anlage ein Muss. Für Wanderer und Naturliebhaber sowieso. Und selbst wenn dich weder das eine noch das andere packt, der Ausblick allein ist die Mühe wert. Du kommst hier hoch, um etwas zu sehen, und gehst wieder runter mit dem Gefühl, etwas erlebt zu haben.