Thurgau & Ostschweiz

Kreuzlingen: Mehr als nur die kleine Schweizer Schwester von Konstanz

Während alle nach Konstanz pilgern, liegt gleich nebenan eine Stadt, die ihre eigene Geschichte erzählt. Zeit für einen zweiten Blick auf Kreuzlingen .

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Zwischenablage

Die Grenze verläuft mitten durchs Wohngebiet. Manchmal weißt du gar nicht, auf welcher Seite du gerade stehst – Deutschland oder Schweiz? Kreuzlingen und Konstanz, das sind zwei Städte, die so eng beieinander liegen, dass man vom Bahnhof Konstanz in zwanzig Minuten zu Fuß am Kreuzlinger Hafen steht. Trotzdem gibt's da diesen feinen Unterschied, der nicht nur in der Währung liegt.

Mit seinen rund 23.000 Einwohnern ist Kreuzlingen die zweitgrößte Stadt im Kanton Thurgau und die größte Schweizer Stadt am Bodensee. Zusammen mit Konstanz und den umliegenden Gemeinden bildet sich eine Agglomeration von etwa 130.000 Menschen. Was auffällt: Mehr als die Hälfte der Kreuzlinger Bevölkerung besitzt einen ausländischen Pass, viele davon Deutsche. Das prägt natürlich die Atmosphäre – hier mischt sich schweizerisches Understatement mit schwäbischer Direktheit.

Barock und Brandruinen – die Geschichte des Klosters

Der Name der Stadt stammt vom Augustiner-Chorherrenstift "Crucelin", das 1125 vom Konstanzer Bischof Ulrich I. von Kyburg-Dillingen gegründet wurde. Die Ursprünge liegen aber noch weiter zurück: Der heilige Bischof Konrad hatte im 10. Jahrhundert ein Hospital gestiftet und diesem eine Kreuzpartikel geschenkt – daher der Name, vom lateinischen "Crucis Lignum", Holz vom Kreuz.

Die Geschichte des Klosters ist turbulent. Zweimal brannten die Konstanzer es nieder – aus Ärger, weil es Feinden als Belagerungsbasis gegen die Stadt gedient hatte. Nach dem Schwabenkrieg 1499 und später im Dreißigjährigen Krieg ging das Gebäude jeweils in Flammen auf. Doch 1653 entstand die prächtige Barockkirche St. Ulrich und St. Afra, wie sie heute noch steht. Sie gehört zu den eindrucksvollsten ihrer Art am ganzen Bodensee.

1848 dann die Säkularisation: Die Thurgauer Regierung hob das Kloster auf, zog die Güter ein. Seither beherbergt der Gebäudekomplex eine Pädagogische Maturitätsschule. 1963 gab's noch mal einen dramatischen Zwischenfall – ein Brand durch Schweißarbeiten zerstörte Teile der Kirche, die danach umfassend renoviert wurde. Wenn du durch die Innenräume gehst, spürst du diese bewegte Geschichte. Der barocke Stuck, die vergoldeten Altäre – das ist keine aufgesetzte Dekoration, sondern echter Kunsthandwerksgeist aus dem 17. Jahrhundert.

Der Seeburgpark – grüne Oase mit Geschichte

Über zweieinhalb Kilometer zieht sich die Uferpromenade von Kreuzlingen hin, und mittendrin liegt der Seeburgpark. 1958 knapp erworben von der Stadt, zählt er heute zu den schönsten Grünanlagen der gesamten Bodenseeregion. Das Herzstück bildet das Schloss Seeburg, ein Adelssitz aus dem Jahr 1598, der heute als Eventlocation dient.

Was den Park besonders macht: Er ist kein durchgestylter Stadtpark, sondern eine vielseitige Anlage. Da gibt's den großen Abenteuerspielplatz für Kinder, einen Kleintierpark mit alten Haustierrassen zum Streicheln, einen Heilkräutergarten, Biotope und einen hölzernen Aussichtsturm. Von dort oben schweift der Blick über den See bis zu den Alpen – an klaren Tagen jedenfalls. Die Minigolfanlage im Park ist auch einen Stopp wert, vor allem an heißen Sommertagen, wenn die alten Bäume angenehmen Schatten spenden.

Direkt am Hafen beginnen die Schiffsrundfahrten. Von hier aus kannst du den ganzen Bodensee erkunden, von Schaffhausen bis Bregenz. Der Hafen selbst hat etwas Gemütliches – weniger touristischer Trubel als in Konstanz, dafür mehr Raum zum Durchatmen.

Wo der Grenzzaun zur Kunst wurde

Auf dem Gelände Klein Venedig, einem aufgeschütteten Areal zwischen Kreuzlingen und Konstanz, steht seit 2007 etwas Besonderes: die Kunstgrenze. 22 Skulpturen aus rot beschichtetem Edelstahl, jeweils sechs Meter hoch, auf silbernen Sockeln. Der Konstanzer Künstler Johannes Dörflinger hat die Großen Arkana des Tarot in abstrahierte Formen übersetzt – Magier, Herrscherin, Tod und Wiedergeburt, das Glücksrad.

Bis 2006 verlief hier ein Grenzzaun, Maschendraht und Stacheldraht, der seit 1939 die beiden Städte trennte. Die Stadtoberhäupter durchschnitten den Zaun gemeinsam, und an seiner Stelle entstand die weltweit erste Kunstgrenze. Die Skulpturen stehen exakt auf der Grenze – zur Hälfte auf deutschem, zur Hälfte auf Schweizer Gebiet. Das ist mehr als Symbolik. Es ist eine Aussage über offene Grenzen, über das Zusammenwachsen Europas.

Finanziert wurde das Projekt von der Johannes-Dörflinger-Stiftung mit rund einer Million Franken. Heute kümmern sich beide Städte um die Instandhaltung. Wenn du zwischen den Skulpturen durchgehst, spürst du diese Leichtigkeit – keine schwere Mahnmal-Atmosphäre, sondern Raum für eigene Interpretationen.

Seemuseum und Planetarium – Kultur am Wasser

In der ehemaligen Kornschütte, einem barocken Speichergebäude im Seeburgpark, ist das Seemuseum untergebracht. Es zeigt Geschichte und Gegenwart von Schifffahrt und Fischerei auf dem Bodensee. Die Sammlung umfasst historische Boote, traditionelle Fischereigeräte und Exponate zur Dampfschifffahrt des 19. Jahrhunderts. Wechselnde Sonderausstellungen greifen aktuelle Themen auf – Umweltschutz am See, Migrationsgeschichten entlang des Wassers.

Etwas außerhalb, beim Freibad, befindet sich das Bodensee-Planetarium – das einzige seiner Art in der Region. Moderne Technik und Multimedia-Shows bringen den Sternenhimmel in eine Kuppel. Besonders für Kinder ist das ein Erlebnis, aber auch Erwachsene staunen über die Vorführungen. Der Planetenweg führt von hier aus über sechs Kilometer durch die Umgebung und bildet die Distanzen im Sonnensystem maßstabsgetreu nach.

Das Museum Rosenegg, untergebracht in einer Villa aus dem 18. Jahrhundert, widmet sich der Kulturgeschichte der Region. Regelmäßige Sonderausstellungen beleuchten Künstler und historische Entwicklungen. Der Museumspark lädt zu einem Spaziergang ein – wieder so ein typisch Kreuzlinger Ort, wo Kultur und Natur nahtlos ineinander übergehen.

Feuerwerk und Festivalstimmung – das Seenachtfest

Anfang August, wenn die Thurgauer Sommerferien zu Ende gehen, findet das Fantastical statt – das Kreuzlinger Seenachtfest. Drei Tage lang verwandelt sich das Seeufer in ein Festgelände mit Livemusik, DJs, Streetfood und Fahrgeschäften. Der Höhepunkt: das Feuerwerk am Samstagabend, das größte am ganzen Bodensee. Eine halbe Stunde lang explodieren Farben über dem Wasser, während rund 40.000 Gäste am Ufer stehen und staunen.

Das Besondere am Fantastical ist die entspannte Atmosphäre. Kein überfüllter Rummelplatz-Trubel, sondern ein Volksfest für Familien. Das Kinderland bietet Hüpfburgen und Aktivitäten, am Hafen gibt's Action-Shows, und abends tanzen die Leute zu Salsa-Rhythmen. Freitag und Sonntag ist der Eintritt frei, nur der Samstag kostet was – und selbst das hält sich in Grenzen.

Im Seeburgpark findet außerdem jedes Jahr das See-Burgtheater statt, eine Freilichtbühne mit anspruchsvollen Inszenierungen. Nach der Derniere wird die Bühne zum Konzertort umgebaut – dann steigt das kultling-Festival mit regionalen und überregionalen Acts.

Raus aufs Rad – der Bodensee-Radweg

Kreuzlingen ist ein idealer Ausgangspunkt für Radtouren. Der internationale Bodensee-Radweg führt auf 260 Kilometern rund um den See, durch drei Länder. Du kannst kurze Tagesetappen fahren oder mehrere Tage unterwegs sein. Die Strecke ist größtenteils flach, gut ausgeschildert und führt durch Dörfer, Weinberge und direkt am Wasser entlang.

Wer höher hinaus will, wandert auf den Ottenberg, den höchsten Punkt des Seerückens. Von dort genießt man einen 360-Grad-Rundblick – bei gutem Wetter reicht die Sicht bis zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Für Familien gibt es flachere Rundwege durch Obstgärten und entlang kleiner Bäche, mit Einkehrmöglichkeiten in traditionellen Gasthäusern.

Schokolade und Grenzgänger-Mentalität

Bei Chocolat Stella Bernrain entstehen feinste Schokoladenspezialitäten. Im Fabrikladen mit integriertem Café kannst du Pralinés, Bio-Schoggi und andere Leckereien kaufen. Wer will, veredelt vor Ort seine eigene Tafel oder wirft einen Blick in die Produktion. Es riecht nach gerösteten Kakaobohnen und Vanille – ein Fest für die Sinne.

Überhaupt spielt Genuss in Kreuzlingen eine große Rolle. Die Nähe zu Deutschland bringt eine Mischung aus schweizerischer Qualität und deutschen Preisvorstellungen – zumindest manchmal. Am Boulevard im Stadtzentrum reihen sich Geschäfte und Restaurants aneinander. Hier shoppen durchaus auch viele Konstanzer, weil sie in der Schweiz andere Produkte finden.

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