Wer mit dem Schiff nach Konstanz einfährt, wird von ihr begrüßt. Wer zu Fuß am Hafen entlangschlendert, kommt nicht an ihr vorbei. Die Imperia steht seit dem 24. April 1993 an der Hafeneinfahrt und ist seitdem so etwas wie die inoffizielle Freiheitsstatue des Bodensees. Nur mit dem Unterschied, dass diese Dame deutlich freizügiger gekleidet ist und statt einer Fackel zwei nackte Zwerge in den Händen trägt.
Die Figur ist aus Beton gegossen, grau-weiß patiniert und steht auf einem Drehtisch, der sie gemächlich rotieren lässt. Man muss ein bisschen Geduld mitbringen, wenn man alle Perspektiven sehen will. Aber diese vier Minuten Wartezeit lohnen sich, denn je nachdem, wie die Imperia gerade steht, offenbart sich eine andere Facette dieser satirischen Skulptur.
Wer war Imperia eigentlich?
Die Figur geht zurück auf eine frivole Erzählung von Honoré de Balzac aus dessen Tolldreisten Geschichten. In Balzacs Geschichte ist Imperia eine Kurtisane zur Zeit des Konstanzer Konzils, die hohe Würdenträger reihenweise um den Verstand bringt. Historisch gab es tatsächlich eine Kurtisane namens Imperia Cognati, allerdings lebte sie rund hundert Jahre nach dem Konzil in Rom. Macht nichts. Die literarische Imperia funktioniert besser als Symbol.
Das Konzil von Konstanz fand von 1414 bis 1418 statt. Damals strömten zeitweise bis zu 30.000 Menschen in die Stadt, deren Einwohnerzahl normalerweise zwischen 5.000 und 7.000 lag. Geistliche, Fürsten, Kaufleute, Gaukler und eben auch Prostituierte. Der Konzilschronist Ulrich Richental berichtete von über 700 "öffentlichen Huren", wobei er die "heimlichen" gar nicht erst mitzählte. Das Konzil war ein riesiges Event, bei dem es nicht nur um Glaubensfragen ging.
Was die Statue wirklich zeigt
Die Imperia trägt eine Narrenkappe mit Glöckchen und hält zwei nackte Männchen in ihren erhobenen Händen. In der rechten Hand sitzt König Sigismund mit Krone und Reichsapfel, in der linken Hand Papst Martin V. mit päpstlicher Tiara. Zumindest wird das oft so interpretiert. Künstler Peter Lenk selbst bezeichnet sie als "Gaukler", die sich die Insignien der Macht unrechtmäßig angeeignet haben.
Man kann das natürlich so oder so sehen. Fest steht: Die Imperia hält die mächtigsten Männer ihrer Zeit buchstäblich in der Hand. Der Kaiser spreizt die Beine, der Papst schlägt sie übereinander. Beide sind splitternackt und ziemlich hilflos. Die satirische Botschaft ist nicht zu übersehen. Hier werden Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt, und die Frau mit der Narrenkappe wird zur Hofnärrin, die dem Treiben den Spiegel vorhält.
Interessant ist auch, dass die Imperia nur spärlich bekleidet ist. Ein tiefes Dekolleté, ein Umhang, der mehr andeutet als verhüllt. Die erotische Ausstrahlung ist gewollt und Teil der Aussage. Es geht um Verführung, um Macht und um die Doppelmoral derer, die öffentlich Moral predigen, aber privat ganz andere Wege gehen.
Eine Nacht-und-Nebel-Aktion am Hafen
Die Einzelteile der Statue wurden durch eine Fähre aus Friedrichshafen seeseitig antransportiert, montiert und dann verhüllt. Peter Lenk hatte die Figur in Stuttgart in einem gemieteten Saal gefertigt. Mehrere tausend Menschen erschienen zur Enthüllung am Hafen, als die Verhüllung Stück für Stück fiel. Das war im April 1993, und die Aufregung war groß.
Warum die ganze Heimlichtuerei? Ganz einfach: Die Statue war von Anfang an umstritten. Konservative Stadträte und Kirchenvertreter liefen Sturm gegen die Skulptur. Eine Prostituierte als Denkmal? Ein nackter Papst? Geht gar nicht. Da die Statue jedoch auf dem Privatgrundstück der Deutschen Bahn errichtet wurde und nicht auf städtischem Gelände, war es dem Gemeinderat nicht möglich, den Bau zu verhindern. Auch der Denkmalschutz sah keine Probleme. So kam die Imperia also doch ans Licht der Öffentlichkeit.
Der Sockel mit Geschichte
Der Sockel der Imperia gehörte früher zu einem Molenturm am Konstanzer Hafen, der 1842 errichtet und 1890 wieder abgerissen wurde. Was blieb, war das Sockelhäuschen. Die Pegelmessstation darin besteht bereits seit 1816 und ist damit die älteste in ganz Baden-Württemberg. Lange Zeit stand hier nur ein Stahlgestell als Seezeichen. Dann kam die Imperia und verwandelte den funktionalen Sockel in ein Kunstwerk mit Aussage.
Von einem begehbaren Steg aus kann man die Statue umrunden. Der Blick aufs Wasser, auf die Alpen bei gutem Wetter und auf die vorbeifahrenden Schiffe ist schon für sich genommen lohnenswert. Aber die Imperia macht diesen Ort zu etwas Besonderem.
Vom Skandal zum Wahrzeichen
Was anfangs für Empörung sorgte, entwickelte sich schnell zur Touristenattraktion. Die Imperia entwickelte sich seit ihrer Aufstellung zu einem der städtischen Wahrzeichen mit hoher Identifikationswirkung für die Bevölkerung und mit regionaler Bedeutung für den Tourismus am Bodensee. Heute ist sie aus Konstanz nicht mehr wegzudenken. Die meisten Besucher zücken ihre Kameras, manche schmunzeln, andere diskutieren über die Bedeutung. Genau das war wohl auch Lenks Absicht.
Seit August 2024 steht die Imperia offiziell als Kulturdenkmal unter Denkmalschutz. Das Landesamt für Denkmalpflege würdigt sie als wichtiges Werk der Postmoderne. "Mit der Imperia wird ein bekanntes Wahrzeichen am Bodensee nun als junges Kulturdenkmal gewürdigt. Sie besitzt eine hohe Aussagekraft für das an historischen Bezügen reiche Kunstschaffen der Postmoderne", so die offizielle Begründung. 2023 feierte die Statue ihren 30. Geburtstag. Aus der Skandalfigur ist ein anerkanntes Denkmal geworden.
Peter Lenk und seine provokanten Skulpturen
Peter Lenk ist kein Unbekannter in der Bodenseeregion. Der 1947 geborene Bildhauer aus Bodman-Ludwigshafen hat sich auf satirische Skulpturen spezialisiert, die gerne mal für Aufregung sorgen. Die Imperia ist sein wohl bekanntestes Werk, aber nicht sein einziges kontroverses. Lenk scheut sich nicht, politische und gesellschaftliche Themen anzupacken und in Bronze oder Beton zu gießen.
Für die Touristeninformation im Konstanzer Bahnhof fertigte Lenk eine Kopie des nackten Papstes an. Auch die sorgte für Wirbel und wurde 2010 nach heftiger Kritik entfernt und später nach Österreich gebracht. Bei der Imperia am Hafen blieb es zum Glück anders.
Praktische Infos für deinen Besuch
Die Imperia steht direkt am Konstanzer Hafen an der Hafeneinfahrt. Du kannst sie vom Bahnhof aus in wenigen Minuten zu Fuß erreichen. Einfach Richtung See laufen, du wirst sie schon von weitem sehen. Vom Fähranleger oder von der Altstadt aus ist es ebenfalls nicht weit.
Die Statue ist frei zugänglich, rund um die Uhr. Am schönsten ist es natürlich bei Tageslicht, wenn die Imperia sich dreht und du die verschiedenen Perspektiven erleben kannst. Abends wird sie beleuchtet, was auch seinen Reiz hat. Der Steg rund um den Sockel ist begehbar, aber nicht riesig. Bei viel Besucherandrang kann es schon mal eng werden.