Das Konstanzer Münster Unserer Lieben Frau steht da, wo schon die Römer ihre Spuren hinterließen. Die heutige Kirche geht auf eine Gründung des frühen 11. Jahrhunderts zurück, genauer gesagt auf Bischof Lambert, der um 1054 den Grundstein für einen romanischen Neubau legte. Davor stand hier bereits ein karolingischer Vorgängerbau aus dem 7. oder 8. Jahrhundert. Über die Jahrhunderte wurde immer wieder angebaut, umgebaut, restauriert. Was heute vor dir steht, ist also kein einheitlicher Wurf, sondern ein gewachsenes Ensemble aus Romanik, Gotik und späteren Eingriffen.
Schon von außen siehst du, dass hier verschiedene Epochen ihre Handschrift hinterließen. Die beiden Türme, die das Stadtbild prägen, stammen aus unterschiedlichen Zeiten. Der Nordturm wurde im 15. Jahrhundert gotisch vollendet, der Südturm blieb unfertig und trägt seit dem 19. Jahrhundert einen neugotischen Helm. Das gibt dem Ganzen eine leichte Asymmetrie, die irgendwie sympathisch wirkt.
Von Bischöfen und einem Konzil, das Europa veränderte
Konstanz war über Jahrhunderte Bischofssitz, und das Münster bildete das Zentrum kirchlicher Macht am Bodensee. Die Diözese erstreckte sich weit ins heutige Baden-Württemberg und die Schweiz. Hier wurde nicht nur gebetet, sondern auch Politik gemacht. Der Höhepunkt dieser Bedeutung kam zwischen 1414 und 1418, als das Konzil von Konstanz die Stadt in den Mittelpunkt Europas rückte.
Das Konzil sollte das Abendländische Schism beenden, bei dem gleichzeitig mehrere Päpste um die Vorherrschaft stritten. Tausende Geistliche, Fürsten, Gelehrte und Händler strömten in die Stadt. Im Münster selbst fanden viele der wichtigen Sitzungen statt. Man wählte 1417 Papst Martin V., und damit war die Einheit der Kirche wiederhergestellt. Allerdings endete das Konzil auch mit einem dunklen Kapitel: Der Reformator Jan Hus wurde 1415 als Ketzer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein Name ist bis heute mit Konstanz verbunden, und auf der Insel im Hafen erinnert eine Statue an ihn.
Im Münster selbst gibt es kaum noch originale Ausstattung aus dieser Zeit, dafür sorgte die Reformation und später auch der Bildersturm. Aber die Architektur, die massiven Säulen, die hohen Gewölbe tragen noch die Atmosphäre jener Jahre in sich. Wenn du durch das Mittelschiff gehst, kannst du dir gut vorstellen, wie hier einst die Mächtigen der Christenheit zusammensaßen.
Architektur zum Anfassen
Das Münster ist keine reine Schatzkammer der Kunstgeschichte, sondern ein Ort, an dem sich Baustile überlagern und ergänzen. Die romanische Krypta unter dem Chor ist einer der ältesten erhaltenen Teile. Sie stammt aus dem 11. Jahrhundert und beherbergt die Mauritiusrotunde, eine seltene kreisförmige Grabkapelle. Die schweren Säulen und das gedämpfte Licht geben dem Raum etwas Archaisches. Hier unten merkst du, dass dieses Gebäude tief in der Geschichte verwurzelt ist.
Oben im Hauptschiff dominiert die Gotik. Die Pfeiler streben nach oben, die Gewölbe scheinen zu schweben. Der Chorraum wurde im 13. und 14. Jahrhundert gotisch umgestaltet, und auch das Langhaus erhielt später gotische Züge. Besonders eindrucksvoll ist das spätgotische Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert, das mit filigranen Schnitzereien verziert ist. Dass es die Reformation und spätere Umbrüche überstanden hat, grenzt fast an ein kleines Wunder.
Die Renaissance und der Barock hinterließen ebenfalls Spuren. Die Seitenkapellen wurden teilweise umgestaltet, Altäre erneuert, Deckengemälde hinzugefügt. Im 19. Jahrhundert kam dann die Neugotik ins Spiel, als man versuchte, das Münster wieder „mittelalterlicher" aussehen zu lassen. Manche Änderungen aus dieser Zeit wirken heute etwas zu glatt, zu perfekt. Aber sie gehören eben auch zur Geschichte des Gebäudes.
Kunstschätze und Besonderheiten
Im Münster gibt es einige Stücke, die man sich genauer ansehen sollte. Da wäre zum Beispiel die spätgotische Schneggtafel, ein bemaltes Retabel aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die Darstellungen der Passion Christi sind unglaublich detailliert, und man kann sich gut vorstellen, wie Gläubige damals staunend davor standen.
Ebenfalls sehenswert ist das romanische Portal an der Nordseite, das sogenannte Mauritiusportal. Die Reliefs zeigen biblische Szenen und Heiligenfiguren, und obwohl die Witterung über die Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen hat, erkennt man noch die feinen Linien der mittelalterlichen Steinmetze. Es lohnt sich, hier ein paar Minuten stehenzubleiben und die Details zu studieren.
Die Orgel des Münsters ist ein Instrument mit bewegter Geschichte. Die heutige große Orgel wurde mehrfach umgebaut und erweitert. Wer das Glück hat, ein Konzert zu erleben oder einfach nur zufällig während einer Probe vorbeizukommen, bekommt eine Ahnung davon, wie Kirchenmusik in solch einem Raum wirken kann. Der Klang füllt das gesamte Schiff, hallt durch die Gewölbe und kriecht in die letzten Winkel.
Reformation, Säkularisation und was davon übrig blieb
Im 16. Jahrhundert erreichte die Reformation Konstanz, und die Stadt wurde protestantisch. Das Münster verlor seinen Status als Bischofskirche, die Diözese wurde nach Meersburg verlegt. Viele der prachtvollen Altäre und Heiligenfiguren wurden entfernt oder zerstört. Was heute noch da ist, stammt entweder aus der Zeit vor der Reformation oder wurde später wieder hinzugefügt.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg kam Konstanz unter österreichische Herrschaft, und die Stadt wurde rekatholisiert. Das Münster kehrte in katholische Hände zurück, allerdings war der alte Glanz dahin. Die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachte weitere Einschnitte. Viele Kunstwerke wurden verkauft oder gingen verloren. Dass trotzdem noch so viel erhalten ist, verdankt sich auch dem Einsatz von Bürgern und Geistlichen, die sich für den Erhalt einsetzten.
Heute gehört das Münster zur Erzdiözese Freiburg und dient als Pfarrkirche. Gottesdienste finden regelmäßig statt, und die Gemeinde ist lebendig. Das ist nicht selbstverständlich bei einem Gebäude dieses Alters und dieser Größe. Hier wird noch gelebt, nicht nur Touristen durch Absperrungen geschleust.
Praktisches für den Besuch
Das Münster ist täglich geöffnet, und der Eintritt ist frei. Allerdings solltest du Rücksicht auf laufende Gottesdienste nehmen. Die Zeiten hängen meist am Eingang aus oder sind auf der Website der Pfarrgemeinde zu finden. Wer den Turm besteigen möchte, kann das gegen eine kleine Gebühr tun. Die Stufen sind eng und steil, aber der Ausblick über Konstanz, den Bodensee und bei klarem Wetter bis zu den Alpen entschädigt für die Mühe.
Führungen werden regelmäßig angeboten, auch in verschiedenen Sprachen. Die Guides kennen sich aus und erzählen Geschichten, die in keinem Reiseführer stehen. Wer auf eigene Faust unterwegs ist, findet im Münster Informationstafeln, die über die wichtigsten Stationen aufklären. Ein Audioguide ist ebenfalls verfügbar.
Rund um das Münster erstreckt sich die Konstanzer Altstadt mit ihren engen Gassen, Fachwerkhäusern und kleinen Läden. Der Münsterplatz selbst ist ein beliebter Treffpunkt. Im Sommer sitzen die Leute auf den Stufen, im Winter findet hier ein Weihnachtsmarkt statt. Gleich nebenan liegt das ehemalige Bischofsschloss, heute Teil der Stadtverwaltung, und ein paar Schritte weiter erreichst du den Hafen mit Blick auf den See.
Zeitreise durch die Krypta
Die Krypta ist für viele Besucher der heimliche Höhepunkt. Während oben im Hauptschiff das Licht durch die hohen Fenster fällt, herrscht hier unten eine ganz andere Stimmung. Es ist kühler, dunkler, und die niedrigen Gewölbe schaffen eine Atmosphäre, die fast meditativ wirkt. Die Mauritiusrotunde, die zentrale Grabkapelle, ist ein architektonisches Kleinod. Ihre runde Form ist ungewöhnlich und erinnert an frühchristliche Bauten.
In der Krypta sind auch einige Grabplatten zu sehen, darunter die von Bischöfen und anderen Würdenträgern. Die Inschriften sind oft schwer zu entziffern, aber gerade das macht den Reiz aus. Man spürt förmlich, dass hier Geschichte konserviert wurde.
Ein Gebäude zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Das Konstanzer Münster ist kein Museum, auch wenn es manchmal so wirken mag. Es ist ein lebendiger Ort, an dem Gottesdienste gefeiert werden, Hochzeiten stattfinden, Konzerte gegeben werden. Die Gemeinde nutzt das Gebäude, und das spürt man. Gleichzeitig ist es ein Monument, das Tausende von Touristen anzieht. Diese Doppelrolle ist nicht immer einfach, aber sie funktioniert.
Wer sich Zeit nimmt und das Münster nicht nur abhakt, sondern wirklich auf sich wirken lässt, wird belohnt. Die Stille zwischen den massiven Säulen, das Spiel von Licht und Schatten, die Details in den Schnitzereien, das alles lädt zum Verweilen ein. Und vielleicht entdeckst du dann auch die kleinen Kuriositäten, die sich in so einem alten Gebäude verstecken: eine verwitterte Inschrift, ein schiefer Stein, eine Figur, die niemand mehr zuordnen kann.
Konstanz als Konzilstadt heute
Das Erbe des Konzils ist in Konstanz allgegenwärtig. Nicht nur im Münster, auch anderswo in der Stadt stößt du auf Spuren jener Zeit. Das Konzilgebäude am Hafen, in dem 1417 der neue Papst gewählt wurde, dient heute als Konzert- und Kongresszentrum. Die Hussenstein-Gedenkstätte erinnert an die tragische Hinrichtung des böhmischen Reformators. Und auf Schritt und Tritt begegnen dir Straßennamen, Tafeln, Denkmäler, die auf das Konzil verweisen.
Das Münster bleibt dabei der zentrale Bezugspunkt. Hier laufen die Fäden zusammen, hier begann die Geschichte, die Konstanz für ein paar Jahre zum Nabel der christlichen Welt machte. Dass die Stadt diese Rolle später wieder verlor, tut dem Ganzen keinen Abbruch. Im Gegenteil: Gerade weil Konstanz heute eine überschaubare Stadt am Bodensee ist, lässt sich die Geschichte hier besonders gut nachvollziehen.
Ein Besuch zu jeder Jahreszeit
Im Sommer, wenn die Sonne durch die Fenster des Münsters fällt und draußen auf dem Münsterplatz das Leben tobt, hat das Gebäude eine leichte, fast heitere Ausstrahlung. Im Winter, wenn der Nebel vom See heraufzieht und die Glocken durch die kalte Luft klingen, wird es mystisch. Jede Jahreszeit verleiht dem Münster einen eigenen Charakter.
Besonders eindrucksvoll ist ein Besuch während der Adventszeit, wenn im Münster Konzerte stattfinden und der Weihnachtsmarkt auf dem Platz die Menschen zusammenbringt. Aber auch an einem verregneten Novembertag, wenn kaum Touristen unterwegs sind, lohnt sich ein Abstecher. Dann hast du das Gebäude fast für dich allein und kannst in aller Ruhe die Atmosphäre aufsaugen.