Eigentlich ist der Bodensee ja gar nicht ein See, sondern zwei. Der Obersee, der große im Osten, und der Untersee, kleiner und verzweigter im Westen. Verbunden werden die beiden durch den Seerhein – ein Flussabschnitt von gerade mal 4,3 Kilometern Länge. Das klingt nach einer Randnotiz in der Geografie des Bodensees, ist es aber nicht. Denn dieser kurze Abschnitt des Rheins prägt die Stadt Konstanz fundamental, bildet teilweise die deutsch-schweizerische Grenze und ist obendrein ein kleines ökologisches Wunderwerk.
Der Seerhein beginnt östlich bei der Alten Rheinbrücke in Konstanz, wo sich der Obersee durch den sogenannten Konstanzer Trichter verengt. Von dort fließt das Wasser gemächlich westwärts, zwischen 100 und 500 Meter breit, durch die Stadt hindurch bis zur Insel Triboldingerbohl. Dort mündet er schließlich in den Untersee. Der Höhenunterschied zwischen den beiden Seen beträgt im Jahresmittel lediglich 20 Zentimeter – das Wasser fließt also in aller Ruhe, man könnte fast sagen: es schleicht sich davon.
Eine Stadt am Wasser – geteilt und doch vereint
Konstanz verdankt dem Seerhein einiges. Historisch war diese Stelle ideal für eine Stadtgründung: leicht zu überqueren, strategisch wichtig, ein natürlicher Hafen. Schon die Kelten, Römer und Alemannen erkannten das Potenzial dieser Engstelle. Im Frühmittelalter markierte der Seerhein die Grenze zwischen Thurgau und Hegau. Auf der Nordseite lag einst die Vorstadt Petershausen, gegründet als Kloster im Jahr 983, später eingemeindet.
Heute teilt der Seerhein Konstanz immer noch in zwei Hälften. Am Südufer erstreckt sich die malerische Altstadt mit der Niederburg, dem ältesten Viertel der Stadt, mit engen Gassen und Häusern, die noch aus dem Mittelalter stammen. Man kann hier noch greifen, wie die Handwerker damals lebten. Direkt am Ufer stehen prächtige Bürgerhäuser, und mittelalterliche Wehrtürme erinnern daran, dass Konstanz mal eine befestigte Stadt war – der Rheintorturm und der Pulverturm sind bis heute erhalten.
Am Nordufer hat sich in den letzten Jahren viel getan. Alte Industrieareale wurden abgerissen, Wohnanlagen entstanden, das Ufer wurde zugänglich gemacht. Es gibt heute durchgehende Spazierwege und Parks. Im Rheinstrandbad kann man schwimmen, auf der Liegewiese entspannen. Die Strandbar lockt im Sommer mit Liegestühlen direkt am Wasser – Urlaubsfeeling mitten in der Stadt.
Drei Brücken und ein Grenzfluss
Über den Seerhein führen drei Brücken, alle im östlichen Teil. Die Alte Rheinbrücke markiert den Beginn des Seerheins und ist seit Jahrhunderten eine wichtige Verbindung – ihre Vorgänger reichen vermutlich bis in die Antike zurück. Etwas weiter westlich liegt die Fahrradbrücke, eine Geh- und Radwegbrücke von 1991, die besonders an warmen Sommerabenden gut besucht ist. Von hier hat man einen schönen Blick zurück auf die Altstadt. Die dritte Brücke ist die vierspurige Schänzlebrücke, Teil der Bundesstraße 33, die hier zur Schweizer Autobahn A7 wird.
Apropos Schweiz: Durch die Mitte des Seerheins verläuft auf den westlichen zwei Kilometern die Staatsgrenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Am Südufer liegt das Tägermoos, ein Gebiet auf Schweizer Hoheitsgebiet, das jedoch von Konstanz verwaltet wird – ein juristisches Kuriosum. Hier gibt es naturbelassene Ufer mit Badeplätzen wie dem Kuhhorn. Von dort führt ein schöner Spazierweg entlang des Seerheins bis nach Gottlieben, einem schmucken schweizerischen Dorf mit einem Schloss aus dem 15. Jahrhundert.
Natur pur: Das Wollmatinger Ried
Westlich von Konstanz öffnet sich der Seerhein in mehrere Mündungsarme. Zwischen diesen Armen – den sogenannten Schläuchen – liegen schilfbewachsene Inseln aus Schnegglisand, einem Material, das durch Kalkabscheidungen von Blaualgen entsteht. Die Namen der Inseln klingen putzig: Triboldingerbohl und Mittler oder Langbohl. Doch dahinter verbirgt sich ernsthafter Naturschutz.
Das Wollmatinger Ried ist mit 767 Hektar das größte Naturschutzgebiet am deutschen Bodenseeufer. Es erstreckt sich vom Seerhein bis zum Gnadensee bei Allensbach-Hegne. Die Landschaft ist eine Mischung aus Flachwasserzonen, Schilfröhricht und Streuwiesen – jeder Bereich macht etwa ein Drittel der Fläche aus. Diese Dynamik macht das Ried so wertvoll: Hier brüten seltene Vögel wie die Fluss-Seeschwalbe, über 290 Vogelarten wurden insgesamt nachgewiesen, darunter Kolbenenten, Rohrweihen und Schwarzhalstaucher. Im Herbst und Winter rasten bis zu 50.000 Vögel hier.
Auch die Pflanzenwelt ist außergewöhnlich. 600 Arten wurden gezählt, darunter 22 Orchideenarten und vier Enziane. Im Frühsommer leuchten die Streuwiesen blau von Schwertlilien, später setzen Sumpf-Siegwurze pinke Akzente – eine Wild-Gladiole, die nur noch in Baden-Württemberg wächst.
Das Ried ist jedoch nicht immer eine sanfte Wiesenlandschaft. Der Bodensee-Pegel schwankt im Jahresverlauf um etwa zwei Meter. Bei Hochwasser im Frühsommer können bis zu 95 Prozent der Fläche unter Wasser stehen. Im Winter hingegen fallen Schlickflächen trocken, ein gigantisches Nahrungsreservoir für durchziehende Watvögel.
Wie erkundet man das Wollmatinger Ried?
Das Naturschutzgebiet ist für die Öffentlichkeit weitgehend gesperrt – zum Schutz der empfindlichen Tier- und Pflanzenwelt. Aber es gibt Möglichkeiten. Der NABU bietet über 200 Führungen pro Jahr an. Jeden ersten und dritten Sonntag im Monat um 8:30 Uhr startet die große Riedführung, ein dreistündiger Spaziergang durch die verschiedenen Lebensräume. Von April bis September gibt es zusätzlich Führungen mittwochs und samstags um 16 Uhr.
Wer lieber auf eigene Faust unterwegs ist, kann den Gottlieber Weg nehmen. Er führt von der Konstanzer Kläranlage entlang des Seerheins bis nach Gottlieben und bietet immer wieder schöne Ausblicke auf die Streuwiesen und das Schilf. Der Infopfad, Teil des internationalen Bodenseepfads, informiert mit 22 Tafeln über Lebensräume, Tiere und Pflanzen. Besonders eindrucksvoll ist die Beobachtungsplattform auf dem Reichenauer Damm, in der Ruine der ehemaligen Burg Schopflen. Von dort hat man einen weiten Blick über das Ermatinger Becken und den Gnadensee.
Baden, Bootfahren und Flanieren
Der Seerhein ist nicht nur Naturschutzgebiet, sondern auch ein Ort zum Genießen. Das Wasser ist sauber und klar – im Sommer kann man schwimmen, wobei die Strömung an manchen Stellen durchaus spürbar ist. Am Rheinstrandbad auf der Nordseite gibt es eine Liegewiese und eine Terrasse. Die Strandbar Konstanz bietet Liegestühle im Sand – ein bisschen Urlaubsfeeling mit Blick auf den Fluss.
Der Seerhein ist schiffbar, wenn auch nur für kleinere Boote. Die Schiffe der Schweizerischen Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein verkehren regelmäßig, dazu kommen Sportboote und Ruderer. Eine Fahrt auf dem Seerhein lohnt sich – man sieht die Stadt aus einer anderen Perspektive, gleitet vorbei an Ufern mit Weiden und Pappeln, an Schilfgürteln und alten Häusern.
Entlang des Ufers führen gut ausgebaute Spazierwege. Auf der Altstadtseite flaniert man an der Seestraße vorbei, mit Blick auf die historischen Bürgerhäuser und die Rheinbrücke. Auf der Nordseite gibt es schattenspendende Bäume, Bänke und immer wieder kleine Badestellen. Wer mag, kann am Ufer picknicken, das Wasser beobachten, Schwänen zuschauen. Die Atmosphäre hier ist entspannt, fast ein bisschen träge – wie der Fluss selbst.
Vom Eisstausee zum Fluss: Die Geschichte des Seerheins
Der Seerhein ist geologisch betrachtet ein junger Bursche. Erst nach dem Ende der letzten Eiszeit, vor etwa 11.650 Jahren, entstand er in seiner heutigen Form. Während der Würm-Kaltzeit war die Region von Gletschern bedeckt. Als das Eis schmolz, lag der Bodensee-Spiegel zunächst etwa zehn Meter höher als heute. Durch die Tiefenerosion des Hochrheins sank der Pegel allmählich. Dabei fiel der Bereich zwischen Obersee und Untersee trocken – der Seerhein entstand als Verbindung zwischen den beiden Seen.
Die Niederung, durch die der Seerhein heute fließt, wird im Süden vom Seerücken und im Norden vom Bodanrück begrenzt. In der Landschaft sind noch Spuren der Eiszeit zu erkennen: Endmoränen, die sich entlang des Eisrands bildeten, prägen bis heute den Siedlungsverlauf. Die Konstanzer Altstadt liegt zum großen Teil auf solch einer Endmoräne. Auch die Strandwälle im Wollmatinger Ried, entstanden durch die Brandung des eiszeitlichen Sees, sind noch gut erhalten.