Der Rheinfall überrascht. Wer zum ersten Mal nach Schaffhausen kommt, erwartet vielleicht einen hübschen Wasserfall, wie es ihn in der Schweiz zuhauf gibt. Was einen dann erwartet, ist etwas anderes: eine tosende Wand aus Wasser, die sich über eine Breite von 150 Metern ergießt und dabei einen Höllenlärm macht. Pro Sekunde stürzen hier im Durchschnitt rund 370 Kubikmeter Wasser über die Felsen. Im Sommer, wenn die Schneeschmelze in den Alpen für Nachschub sorgt, können es auch mal 700 Kubikmeter sein. Das entspricht ungefähr dem Inhalt von drei olympischen Schwimmbecken. Jede Sekunde.
Geologisch betrachtet ist der Rheinfall noch relativ jung. Vor etwa 14.000 bis 17.000 Jahren hat sich der Rhein durch Verschiebungen im Flusslauf seinen heutigen Weg gesucht und traf dabei auf harte Kalksteinfelsen aus der Jurazeit. Während weichere Gesteine im Lauf der Jahrtausende abgetragen wurden, blieb das widerstandsfähige Gestein stehen. So entstand die Fallkante, über die sich der Fluss seitdem seinen Weg bahnt. Noch immer nagt das Wasser am Fels, allerdings in einem Tempo, das für menschliche Zeitmaßstäbe kaum wahrnehmbar ist.
Wie du zum Rheinfall kommst
Schaffhausen liegt im äußersten Norden der Schweiz, quasi eingeklemmt zwischen Deutschland und dem Bodensee. Von Zürich aus brauchst du mit dem Zug gut 40 Minuten bis Schaffhausen, von Konstanz etwa eine halbe Stunde. Der Bahnhof Neuhausen Rheinfall bringt dich direkt ans Nordufer, von dort sind es nur wenige Gehminuten bis zur Aussichtsplattform Schloss Laufen. Alternativ fährt man bis Schaffhausen Bahnhof und nimmt von dort den Bus oder läuft die gut zwei Kilometer zum südlichen Ufer. Mit dem Auto kommst du über die Autobahn A4, Parkplätze gibt es auf beiden Seiten des Falls, allerdings kann es gerade an Wochenenden und Feiertagen eng werden.
Die Region ist hervorragend ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Das Schweizer GA oder ein Interrail-Pass gelten natürlich, aber auch mit dem deutschen 49-Euro-Ticket kommst du zumindest bis kurz vor die Grenze. Für Bodensee-Urlauber ist der Rheinfall ein klassischer Tagesausflug, den man gut mit einem Besuch der Altstadt von Schaffhausen oder Stein am Rhein kombinieren kann.
Zwei Ufer, zwei Perspektiven
Der Rheinfall lässt sich von beiden Seiten aus erleben, und beide haben ihre Vorzüge. Am Nordufer thront Schloss Laufen über dem Geschehen, ein mittelalterliches Gemäuer, das heute ein Restaurant, einen Souvenirladen und verschiedene Aussichtsplattformen beherbergt. Von hier aus führt ein steiler Weg hinunter zur Aussichtsplattform Känzeli, die direkt über dem Wasser schwebt. Der Nebel, der von den Wassermassen aufsteigt, kann einen hier komplett einhüllen. An warmen Tagen ist das erfrischend, an kalten einfach nur nass. Die Aussicht ist allerdings spektakulär.
Das Südufer ist weniger dramatisch inszeniert, dafür aber direkter. Hier starten die Bootsfahrten zum mittigen Felsen, auf dem eine Schweizer Fahne im Wind flattert. Außerdem gibt es hier das Schlössli Wörth, ein weiteres historisches Gebäude mit Gastronomie. Die Wege am Südufer sind breiter und barrierearmer, was für Familien mit Kinderwagen oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität ein Vorteil sein kann. Wer mag, wechselt während des Besuchs einfach die Seite. Eine kleine Fähre pendelt zwischen den Ufern hin und her, und auch die Ausflugsboote bringen dich von einer Seite zur anderen.
Bootsfahrt ins Getöse
Das absolute Highlight ist die Fahrt mit einem der gelben Boote zum mittleren Felsen. Die Boote starten vom Südufer und kämpfen sich gegen die Strömung bis unmittelbar an die Fallkante heran. Das Wasser schäumt und brodelt, und je näher man kommt, desto unwirklicher wird das Ganze. Der Felsen selbst ist über eine steile Treppe erklimmbar. Oben angekommen steht man inmitten des Wasserfalls, umgeben von tosendem Lärm und Gischt. Die Aussicht von hier ist einmalig, aber Vorsicht: Wer keine Regenjacke dabeihat, wird durchnässt. Smartphones sollte man gut festhalten oder gleich wasserdicht verpacken.
Die Bootsfahrt kostet extra, ist aber ihr Geld wert. Tickets gibt es direkt an den Bootsstegen oder online. In der Hochsaison kann es zu Wartezeiten kommen, vor allem am Wochenende. Wer früh am Tag kommt, hat bessere Chancen auf einen Platz ohne lange Schlange. Die Boote fahren von April bis Oktober, bei schlechtem Wetter oder hohem Wasserstand kann der Betrieb eingestellt werden.
Geschichte und Geschichten rund um den Rheinfall
Menschen zieht es schon seit Jahrhunderten zum Rheinfall. Im 19. Jahrhundert wurde der Ort zu einem beliebten Ziel für die aufkommende Tourismusbranche. Goethe war hier, ebenso wie zahlreiche andere Künstler und Schriftsteller. Die Romantik hatte eine Vorliebe für Naturschauspiele, und der Rheinfall lieferte genau das. Gemälde, Stiche und literarische Beschreibungen machten den Wasserfall in ganz Europa bekannt.
Wirtschaftlich spielte der Rheinfall ebenfalls eine Rolle. Schon im Mittelalter war er ein Hindernis für die Schifffahrt auf dem Rhein. Waren mussten umgeladen werden, was den Herrschern der Region Einnahmen bescherte. Später versuchte man, die Wasserkraft zu nutzen. Bis heute steht am Rheinfall ein Wasserkraftwerk, das allerdings deutlich weniger imposant ist als das Naturschauspiel selbst.
Eine skurrile Episode ereignete sich 1887, als ein gewisser Jakob Wehrli versuchte, mit einem speziell angefertigten Stahlboot über den Rheinfall zu fahren. Wehrli, ein Schiffbauer aus Laufen, wollte beweisen, dass sein Konstrukt unzerstörbar sei. Die Aktion ging schief. Das Boot zerbrach, Wehrli überlebte nur knapp. Solche Stunts sind heute selbstredend verboten.
Beste Reisezeit und praktische Hinweise
Der Rheinfall ist ganzjährig zugänglich, sieht aber je nach Jahreszeit sehr unterschiedlich aus. Im Frühsommer, wenn die Schneeschmelze einsetzt, führt der Rhein am meisten Wasser. Die Wassermassen sind dann besonders beeindruckend, gleichzeitig aber auch die Besucherzahlen. Wer es etwas ruhiger mag, kommt im Herbst oder zeitigen Frühjahr. Auch im Winter lohnt sich ein Besuch, vor allem wenn Frost und Eis dem Wasserfall eine ganz eigene Atmosphäre verleihen. Bei extremer Kälte können Teile des Wasserfalls sogar vereisen, was ein seltenes Schauspiel ist.
Ein Besuch dauert je nach Intensität zwischen einer und drei Stunden. Wer beide Ufer erkunden, eine Bootsfahrt machen und vielleicht noch etwas essen möchte, sollte mindestens einen halben Tag einplanen. Das Gelände ist gut ausgebaut, aber nicht überall barrierefrei. Die Aussichtsplattform Känzeli am Nordufer erreicht man nur über steile Treppen, am Südufer ist der Zugang einfacher. Festes Schuhwerk ist ratsam, da es durch die Gischt überall rutschig werden kann.
Gastronomie gibt es auf beiden Seiten. Die Restaurants in Schloss Laufen und im Schlössli Wörth bieten solide Schweizer Küche zu entsprechenden Preisen. Wer sparen will, bringt sich ein Picknick mit. Geeignete Plätze zum Sitzen gibt es rund um den Wasserfall genug.
Abstecher in die Umgebung
Schaffhausen selbst ist einen Besuch wert. Die Altstadt mit ihren Erkerfenstern und bemalten Fassaden gehört zu den schönsten der Schweiz. Sehenswert ist auch die Festung Munot, eine kreisrunde Festungsanlage aus dem 16. Jahrhundert, von der aus man einen guten Blick über die Stadt hat. Von Schaffhausen sind es nur wenige Kilometer nach Stein am Rhein, einem pittoresken Städtchen mit ebenfalls hervorragend erhaltener historischer Bausubstanz. Wer genug Zeit hat, kann auch eine Wanderung oder Radtour entlang des Rheins machen. Der Fluss ist von hier bis zum Bodensee landschaftlich reizvoll, die Wege sind gut ausgeschildert.
Auch der Untersee, der westliche Teil des Bodensees, ist nicht weit. Die Insel Reichenau mit ihren mittelalterlichen Kirchen und das Kloster auf der Insel Werd lassen sich an einem Tag kombinieren. Wer lieber in der Natur unterwegs ist, findet im nahen Randen zahlreiche Wanderwege durch hügelige Landschaft mit weiten Ausblicken.