Thurgau & Ostschweiz

Wildpark Peter und Paul: Ein Naturparadies mit bewegter Geschichte

Bei St. Gallen liegt ein Park, der kostenlos ist, rund um die Uhr geöffnet hat und eine Geschichte erzählt, die nach Krimi klingt. Hier wurden vor über 100 Jahren Steinböcke geschmuggelt, um eine ganze Tierart zu retten. Heute beobachtest du Murmeltiere, Luchse und Hirsche – mit Bodenseeblick inklusive.

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Zwischenablage

Der Wildpark Peter und Paul befindet sich auf 780 Metern über Meer auf dem Rosenberg im St. Galler Quartier Rotmonten. Von hier oben hast du einen Ausblick, der sich gewaschen hat: Bodensee im Norden, der Alpstein im Süden, und bei guter Sicht reicht der Blick bis nach Süddeutschland und ins österreichische Vorarlberg. Die Stadt St. Gallen breitet sich unter dir aus, die vielen Kirchtürme wirken zum Greifen nah.

Mit dem öffentlichen Verkehr nimmst du vom Bahnhof St. Gallen den Bus 5 bis zur Haltestelle Sonne Rotmonten. Von dort sind es etwa zehn bis fünfzehn Minuten zu Fuss – ein gemütlicher Spaziergang bergauf. Parkplätze gibt's zwar auch, sind aber rar gesät, also besser gleich mit dem Bus anreisen. Das spart Nerven und ist sowieso besser für die Umwelt.

Ein Park mit einer Geschichte wie aus dem Krimi

Was der Wildpark heute ist – ein friedliches Naherholungsgebiet für Familien und Naturfreunde – war einmal Schauplatz einer ziemlich waghalsigen Operation. Im Jahr 1892 wurde der Park vom Schweizerischen Jäger- und Wildschutzverein Diana gegründet. Damals stand auf Initiative des Forstverwalters Martin Wild ein grosses Gehege für einheimische Wildtiere, wo Bewohner der Stadt Rothirsche, Damhirsche, Gämsen und Murmeltiere in möglichst naturnaher Umgebung sehen konnten. Soweit, so gewöhnlich für einen Tierpark jener Zeit.

Doch dann kam die Sache mit den Steinböcken. Ende des 19. Jahrhunderts waren diese majestätischen Tiere in der Schweiz komplett ausgerottet – gejagt wegen ihres Fleisches, ihrer Hörner und weil man ihren Körperteilen allerlei heilende Kräfte zusprach. Gemahlenes Steinbockhorn galt als Potenzmittel, eine Art mittelalterliches Viagra sozusagen. Nur im italienischen Aostatal, im Jagdrevier des Königs Viktor Emanuel III. am Gran Paradiso, überlebte eine kleine Population.

Der König jedoch weigerte sich beharrlich, auch nur ein einziges Tier zu verkaufen oder zu verschenken. Also musste ein anderer Weg her. Drei St. Galler – der Arzt Albert Girtanner, der Hotelier Robert Mader und der Konservator Emil Bächler – fassten einen gewagten Plan. Sie nahmen Kontakt zum italienischen Wilderer Joseph Berard aus Aymavilles auf und überzeugten ihn, Jungtiere aus dem königlichen Jagdrevier zu schmuggeln.

Am 6. Juni 1906 fand im Restaurant Veuve Darbélay in Martigny ein geheimes Treffen statt. Berard hatte drei Steinkitze im Gepäck, die er nachts über die grüne Grenze gebracht hatte. Der Preis war stolz: 800 Franken pro Tier, umgerechnet auf heute etwa 30'000 Franken. Mader zahlte ohne zu zögern. Pikantes Detail am Rande: Die Schweizer Behörden wussten von der ganzen Aktion und deckten sie sogar – später finanzierte der Bundesrat die Schmuggelkäufe sogar mit.

Zwischen 1906 und 1936 gelangten insgesamt etwa 59 Steinkitze auf illegalem Weg nach St. Gallen. Im Wildpark wurden sie mit der Milchflasche aufgezogen. Der Bildhauer Urs Eggenschwiler schuf zwischen 1902 und 1917 vier künstliche Felsen, auf denen die Tiere klettern konnten – diese Steinbockfelsen stehen bis heute und sind zum Wahrzeichen des Parks geworden.

1911 war es soweit: Die ersten Steinböcke wurden im Weisstannental im St. Galler Oberland ausgewildert. Nicht alle Aussetzungsversuche verliefen erfolgreich, doch mit der Zeit und mit Geduld gelang es, die Art in verschiedenen Regionen der Schweiz wieder anzusiedeln. Heute leben rund 14'000 Steinböcke in den Schweizer Alpen – alle Nachkommen jener geschmuggelten Kitze aus dem Aostatal.

Die Tiere im Park

Auf knapp 20 Hektaren Fläche kannst du heute neun verschiedene Tierarten beobachten, alle vorwiegend einheimisch. Die Gehege sind grosszügig angelegt und fügen sich natürlich ins leicht hügelige Gelände ein. Das ist etwas Besonderes: Schon bei der Gründung 1892 waren die Gehege für damalige Verhältnisse riesig – teilweise mehrere Hektaren gross – und galten als mustergültig.

Zu den Stars gehören natürlich die Steinböcke. Auf den imposanten Kunstfelsen demonstrieren sie ihre Kletterkünste, und wenn du Glück hast, erwischst du einen Bock, der sich in voller Pracht auf einem Felsvorsprung präsentiert. Gämsen teilen sich ihr Gehege mit den Steinböcken – beide sind geschickte Kletterer, wobei Gämsen etwas zierlicher und wendiger wirken.

Drei Hirscharten leben im Park: Rothirsche, die in der Schweiz zwischenzeitlich ausgestorben waren und wiederangesiedelt wurden, Damhirsche mit ihrem charakteristischen Schaufelgeweih und japanische Sikahirsche, die bereits seit Jahrhunderten in Gehegen gehalten werden. Während der Brunftzeit im Herbst hört man das Röhren der Rothirsche durch den ganzen Park – ein Geräusch, das einem unweigerlich eine Gänsehaut beschert.

Die Murmeltiere sind besonders bei Kindern beliebt. Wenn sie auf ihren Hinterbeinen stehen und Männchen machen, sind die Handys schnell gezückt. Im Frühling, wenn die Jungtiere das erste Mal aus dem Bau kommen, gibt's ein regelrechtes Murmeltier-Spektakel. Luchse und Wildkatzen sind scheuer – manchmal braucht es Geduld, bis man sie in ihren Gehegen entdeckt. Der Luchs liegt oft auf einem erhöhten Ast und beobachtet die Besucher mit seinen stechenden Augen.

Die Wildschweine wühlen mit Begeisterung in ihrem Gehege herum. Matsch, umgegrabene Erde, kleine Schlammlöcher – hier sieht man, wie sich Wildschweine in der Natur verhalten würden. Besonders im Frühjahr, wenn die gestreiften Frischlinge herumtollen, ist das Wildschweingehege ein Publikumsmagnet.

Das Wildpark-Haus

Seit 2012 gibt's beim Eingang das Wildpark-Haus, ein modernes Besucherzentrum, das vor allem für Schulklassen und Gruppen gedacht ist. Hier darfst du nicht nur schauen, sondern auch anfassen: Gehörne, Geweihe, Felle, Spurenbilder. An einem grossen Touchscreen kannst du Tierstimmen abrufen und kurze Filmsequenzen anschauen. Der grosse Saal bietet Anschauungsmaterial zu allen Tieren im Park.

Im Wildpark-Schulzimmer vertiefen Schulklassen ihr Wissen über die heimische Fauna. Und wer möchte, leiht sich Klappsessel, Feldstecher und Schreibunterlagen aus, um die Tiere im Park noch intensiver zu beobachten. Führungen werden für Gruppen ab acht Personen angeboten.

Restaurant Peter und Paul

Nach dem Rundgang durch den Park lockt das Restaurant Peter und Paul. Von der Sonnenterrasse im ersten Stock hast du einen sagenhaften Panoramablick über den Bodensee – bei schönem Wetter lohnt es sich, frühzeitig zu kommen, um einen Platz an der Sonne zu ergattern. Der Wintergarten ist eine Alternative bei weniger gutem Wetter.

Die Küche setzt auf regionale und hausgemachte Gerichte. Klassiker stehen neben neuen Kreationen auf der Karte. Eine Spezialität des Hauses ist der hausgemachte Apfelstrudel mit Vanillesauce – passt perfekt zum Zvieri oder als Dessert nach einem ordentlichen Hauptgang. Familien mit Kindern sind hier häufige Gäste, das Ambiente ist hochwertig, aber nicht steif. Selbst matschige Kindergummistiefel sind kein Problem.

Im Erdgeschoss gibt's einen Kiosk, falls du nur schnell ein Glace, ein Getränk oder einen Snack möchtest. Direkt beim Kettenkarussell gelegen, ist das der ideale Ort für eine kurze Pause zwischendurch.

Das Restaurant ist von Mittwoch bis Samstag von 10:30 bis 23:30 Uhr geöffnet, sonntags von 9:30 bis 18:00 Uhr. Montag und Dienstag ist Ruhetag, ausser an Feiertagen – dann hat das Restaurant geöffnet, sofern der Feiertag nicht gerade auf Montag oder Dienstag fällt. An Silvester gibt's ein spezielles Silvester-Menü, an Ostern typische Ostergerichte. Reservierungen sind erwünscht, gerade am Wochenende wird's schnell voll.

Praktisches für den Besuch

Der Wildpark ist durchgehend geöffnet, und zwar rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Der Eintritt ist komplett kostenlos – eine Seltenheit in Zeiten, wo man fast überall zur Kasse gebeten wird. Das hat natürlich einen Grund: Der Park wird zu etwa zwei Dritteln durch private Gönner und Spenden finanziert, nur ein Drittel kommt von der öffentlichen Hand. Die Wildparkgesellschaft Peter und Paul, eine Trägerorganisation mit maximal 40 Mitgliedern, leitet den Park bis heute vornehmlich mit ehrenamtlichem Einsatz.

Alle Wege im Park sind rollstuhlgängig und kinderwagentauglich – das ist wirklich vorbildlich umgesetzt. Hunde darfst du mitbringen, allerdings nur an der kurzen Leine. Das ist wichtig, damit die Wildtiere nicht gestört werden. Bitte bleib auf den ausgeschilderten Wegen, es gibt genug davon, und die Tiere brauchen ihre Rückzugsbereiche.

Ein Rundgang durch den Park dauert je nach Tempo und Interesse zwischen einer und zwei Stunden. Wer sich Zeit nimmt, die Tiere zu beobachten und vielleicht im Restaurant einkehrt, ist locker einen halben Tag beschäftigt. Der Park liegt eingebettet in ein grösseres Naherholungsgebiet – rundherum gibt's Waldpartien und offene Grünflächen, ideal für ausgedehnte Spaziergänge.

An schönen Wochenenden und Feiertagen kann's richtig voll werden. Dann ist der Parkplatz schnell überlastet, und auch die Wege sind gut bevölkert. Wer es ruhiger mag, kommt besser unter der Woche oder frühmorgens. Im Winter hat der Park einen ganz eigenen Charme: kristallklare Luft, weniger Besucher, und nach einem Spaziergang in der Kälte schmeckt der Kaffee im Restaurant doppelt so gut.

Biodiversität und Zukunft

Die Wildparkgesellschaft arbeitet kontinuierlich an der Weiterentwicklung des Parks. Biodiversität ist ein wichtiges Thema – es geht nicht nur um die Tiere in den Gehegen, sondern um das gesamte Ökosystem im Park. Waldpartien werden gezielt so gestaltet, dass sie vielen verschiedenen Arten Lebensraum bieten. Auch Digitalisierung und Mobilität sind Themen, mit denen sich die Verantwortlichen auseinandersetzen.

Zwei grosse Epidemien haben den Park in der Vergangenheit schwer getroffen. Zwischen 1945 und 1951 raffte die Paratuberkulose den gesamten Steinbockbestand von 40 Tieren dahin. Die Diagnose war schwierig, erst nach Jahren gelang es dem Bakteriologischen Institut der Universität Zürich, die Krankheit nachzuweisen. Eine weitere Epidemie in den 1970er Jahren betraf die Hirsche. Solche Rückschläge zeigen, wie herausfordernd es ist, Wildtiere in Gehegen zu halten.

Die steigenden Besucherzahlen sind Segen und Herausforderung zugleich. An sonnigen Tagen kommen Tausende, was die Infrastruktur ans Limit bringt. Lösungen für Mobilität und Zugang sind gefragt, ohne dass der Charakter des Parks verloren geht. Die Finanzierung bleibt eine Herausforderung – wer den Park unterstützen möchte, kann Gönnermitglied werden oder direkt spenden. Allfällige Defizite werden über den Wildpark-Fonds gedeckt.

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