Thurgau & Ostschweiz

Rorschach: Das Hafenstädtchen mit Kornhaus, Bergbahn und 100 Jahre Geschichte

Nur 1,78 Quadratkilometer groß, aber mit ordentlich Geschichte im Gepäck. Rorschach am südlichsten Zipfel des Bodensees verbindet mediteranes Flair mit Schweizer Tradition – und seit 2024 fehlt leider ein ikonisches Wahrzeichen.

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Zwischenablage

Rorschach liegt da, wo der Bodensee seine südlichste Bucht bildet, eingeklemmt zwischen Wasser und den sanften Hügeln des Appenzellerlandes. Mit gerade mal 1,78 Quadratkilometern Fläche ist die St. Galler Kleinstadt eine der flächenmäßig winzigsten Gemeinden der Schweiz. Doch was ihr an Größe fehlt, macht sie durch Lage und Charakter wett. Rund 9.000 Menschen leben hier direkt am Ufer, und das schon seit alemannischen Zeiten – die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 850. Der Name? Eine Kombination aus althochdeutsch "rōr" für Schilf und "scahho" für Wäldchen. Passt irgendwie.

Das Kornhaus – Barockjuwel am Wasser

Am Hafenplatz thront das Kornhaus, und du kannst es nicht übersehen. Zwischen 1746 und 1749 ließ Fürstabt Cölestin Gugger von St. Gallen diesen barocken Prachtbau errichten, entworfen vom Architekten Johann Caspar Bagnato. Damals war Rorschach der wichtigste Handelsplatz am südlichen Bodenseeufer, und das Kornhaus diente als zentraler Getreidespeicher für Händler aus Süddeutschland. Die stattlichen Bürgerhäuser im Ortskern zeugen noch heute von diesem wirtschaftlichen Aufschwung.

Heute beherbergt das Gebäude das Museum im Kornhaus – ein interaktives Erlebnismuseum, das 2010/2011 komplett neu konzipiert wurde. Die Ausstellung erstreckt sich über 1.400 Quadratmeter und deckt ein breites Spektrum ab: Urgeschichte mit Pfahlbaufunden aus der Bodenseegegend, Stadtentwicklung, die Tierwelt am See, aber auch Optik und Illusion, Mathe-Magie sowie Schriften und Zeichen. Anders als in klassischen Museen darfst du hier ziemlich viel anfassen, ausprobieren und experimentieren. Über 50 interaktive Stationen laden zum Mitmachen ein. Das Museum öffnet von April bis Ende Oktober täglich von 10 bis 17 Uhr, auch montags. Für Schulen und Gruppen sind Besuche außerhalb dieser Zeiten nach Voranmeldung möglich.

Die Badhütte – ein schmerzlicher Verlust

Wer über Rorschach spricht, kommt an der Badhütte nicht vorbei – oder besser gesagt: kam nicht vorbei. Diese hölzerne Badeanstalt auf Betonpfeilern mitten im Bodensee war das letzte erhaltene Bauwerk ihrer Art am Schweizer Bodenseeufer. 1924 vom Architekten Karl Köpplin errichtet, vereinte sie traditionellen Holzbau mit moderner Technik der 1920er-Jahre. Die dreiflügelige, fast schlossartige Anlage mit zwei Innenbecken und höhenverstellbaren Böden war unter Denkmalschutz gestellt und galt als architektonisches und kulturhistorisches Kleinod.

Am 23. Dezember 2024, kurz vor 3:30 Uhr morgens, brannte die Badhütte komplett nieder. Als die Feuerwehr eintraf, stand das 100 Jahre alte Holzgebäude bereits in Vollbrand – Totalschaden. Die Brandursache blieb ungeklärt, das Verfahren wurde im April 2025 eingestellt. Für die Rorschacher war und ist dieser Verlust emotional kaum zu verkraften. Die Badhütte war mehr als nur eine Badeanstalt mit Restaurant – sie war Treffpunkt, Wahrzeichen, ein Ort voller Erinnerungen. Stadtpräsident Robert Raths kündigte unmittelbar nach dem Brand einen Wiederaufbau an, doch wie und wann das geschehen wird, steht noch in den Sternen.

Seepromenade und mediterrane Vibes

Die Uferpromenade zieht sich über die gesamte Länge des Stadtgebiets und ist durchgehend zugänglich. Hier flanierst du zwischen Gastronomiebetrieben, Strandbad und Arion-Wiese, wo jeden Sommer ein internationales Sandskulpturen-Festival stattfindet. Künstler aus aller Welt schaffen dann aus rund 250 Tonnen Sand meterhohe, eindrucksvolle Skulpturen zu wechselnden Themen. Im August wird am Hafen ein Beach-Volleyball-Turnier ausgetragen – dann verwandelt sich das Ufer in ein Kleinstadion mit entsprechender Stimmung.

Das Strandbad östlich der ehemaligen Badhütte bietet einen bewachten Badestrand mit Liegewiesen, Schwimmbad, Riesenrutsche und Beachvolleyball-Plätzen. Die Bucht von Rorschach ist auch bei Stand-up-Paddlern beliebt – frühmorgens oder bei Sonnenuntergang über das klare Wasser des Bodensees zu gleiten, hat schon was.

Forum Würth – moderne Kunst am See

2013 eröffnete Reinhold Würth im Gebiet "Neuseeland" an der Churerstrasse das Würth Haus Rorschach. Das vom Zürcher Architekturbüro Gigon/Guyer entworfene Gebäude beherbergt ein Verwaltungs- und Ausbildungszentrum mit Kongresssaal sowie das Kunstmuseum Forum Würth. Die Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Kunst sind kostenlos zugänglich – eine Seltenheit für ein Museum dieser Qualität. Das Forum hat sich zu einer festen Größe in der Kulturlandschaft der Region entwickelt.

Mit der Zahnradbahn nach Heiden

Rorschach ist Ausgangspunkt für eine der schönsten Bergbahnfahrten der Schweiz. Die Rorschach-Heiden-Bergbahn, 1875 eröffnet und seit 1930 elektrifiziert, klettert in gut 30 Minuten vom Hafen hinauf ins Biedermeierdorf Heiden auf 794 Metern Höhe. Auf 5,6 Kilometern überwindet die Zahnradbahn knapp 400 Höhenmeter – und während der Fahrt öffnet sich ein Panoramablick über den Bodensee, der seinesgleichen sucht. Von Mai bis September werden bei schönem Wetter offene Sommerwagen angehängt, dann wird die Fahrt zum nostalgischen Freiluft-Erlebnis.

Die Strecke führt durch Weinberge und die sanfte Hügellandschaft des Appenzeller Vorderlandes, vorbei an Stationen wie Wartensee, Wienacht-Tobel und Schwendi. Oben in Heiden erwartet dich ein klassizistisches Dorf mit Geschichte: 1838 zerstörte ein verheerender Brand den Ortskern mitsamt Kirche, das Dorf wurde im Stil der Zeit wieder aufgebaut und entwickelte sich zum bedeutenden Kurort. Hier verbrachte auch Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes und Friedensnobelpreisträger, die letzten 18 Jahre seines Lebens – ein Museum erinnert an ihn.

Jakobsbrunnen und Pilgerweg

Auf dem Kronenplatz steht der Jakobsbrunnen aus dem 19. Jahrhundert mit der Figur des Heiligen Jakobus. Er wurde zur Erinnerung an die frühere Jakobskapelle errichtet, die hier bis 1833 stand und als Raststätte für Pilger diente. Rorschach war im Mittelalter ein wichtiger Durchgangsort für die großen Pilgerzüge nach Santiago de Compostela. Noch heute läutet täglich um 11 und 18 Uhr die Glocke in der Brunnensäule zum Angelus – ein akustisches Relikt vergangener Zeiten. Der Brunnen markiert den Ausgangspunkt des Jakobswegs, der sich von hier aus quer durch Europa bis zum Grab des Apostels Jakobus erstreckt.

Industrie und Brautradition

Rorschach hatte auch eine industrielle Seite. Die Frisco-Findus AG, Pionier im Bereich Speiseeis, hatte hier ihren Sitz und brachte 1960 das erste in der ganzen Schweiz erhältliche Glacé auf den Markt. Nach der Übernahme durch Nestlé wurde die Produktion ins benachbarte Goldach verlegt. Die 1871 gegründete Brauerei Löwengarten schloss 2006 nach der Übernahme durch die Brauerei Schützengarten, das Löwengartenbier wird heute in St. Gallen gebraut. Dafür entstand 2007 die lokale Kornhausbräu, die sich mit diversen Spezialbieren einen Namen gemacht hat.

Rundfahrt mit Schiff und Zahnradbahn

Von Rorschach aus lassen sich herrliche Kombinationstouren unternehmen. Besonders beliebt ist die Rundfahrt mit der Bergbahn nach Heiden, eine Wanderung auf dem Witzweg (einem mit humorvollen Tafeln bestückten Wanderweg) nach Walzenhausen, von dort mit der Zahnradbahn hinunter nach Rheineck und schließlich mit dem Schiff über den Alten Rhein zurück nach Rorschach. Die Schiffe verkehren von Mai bis Oktober und bieten Ausblicke auf das Naturschutzgebiet Alter Rhein und die Rheinvorstreckung.

Vom Hafen Rorschach fahren täglich Kursschiffe nach Lindau, zur Insel Mainau, nach Meersburg und zu zahlreichen anderen Häfen rund um den Bodensee. Der Bodensee-Radweg, einer der beliebtesten Radwege Europas, führt direkt durch Rorschach – mal ufernah, mal durch Obsthaine und alte Stadtkerne.

Praktisches

Rorschach ist mit der S-Bahn bestens angebunden: Die Linien IR 13, IC 5, S2, S4, S5 und S7 halten am Bahnhof Rorschach oder Rorschach Hafen. Von Friedrichshafen aus erreichst du die Stadt mit der Fähre nach Romanshorn und dann per Zug, von Bregenz oder Lindau kommst du entlang des Seeufers mit dem Zug oder Schiff. Parkplätze gibt es am Hafen und in der Stadt, allerdings kann es im Sommer eng werden.

Die Touristinfo befindet sich im Hafenpavillon und ist von Ende Mai bis Anfang Oktober täglich geöffnet, in der Nebensaison nur an Wochenenden und Feiertagen. Hier bekommst du Infos zu Unterkünften, Ausflügen und Veranstaltungen. Die Stadt selbst ist klein genug, um sie bequem zu Fuß zu erkunden – von der Promenade bis zum Kornhaus sind es nur wenige Minuten.

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