Thurgau & Ostschweiz

Vom Bodensee direkt in die Berge: Die Zahnradbahn der Appenzeller Bahnen

In wenigen Minuten vom glitzernden Bodensee hinauf in die Appenzeller Hügellandschaft. Die historischen Zahnradbahnen machen's möglich. Kein Stau, kein Stress – nur ratternde Schienen, steile Rampen und ein Blick, der süchtig macht.

Thurgau & Ostschweiz  |  Natur & Landschaft
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Zwischenablage

Direkt am Ufer liegt Rorschach mit seinem historischen Kornhaus, dahinter glitzert der See in der Morgensonne. Doch wer hier nur die Seepromenade entlangschlendert, verpasst was. Denn gleich neben dem Hafen, wo die Schiffe anlegen, startet eine der charmantesten Bergbahnen der Schweiz. Die Rorschach-Heiden-Bergbahn zieht sich seit 1875 den Hang hinauf. Fast 400 Höhenmeter überwindet sie auf nur gut fünfeinhalb Kilometern. Das klingt nach wenig, ist aber ordentlich steil.

Die Bahn rattert aus dem Bahnhof, vorbei an Gärten und Wohnhäusern, dann wird's ernst. Zahnstange greift ins Zahnrad, der Motor brummt lauter, und plötzlich merkst du: Das geht richtig aufwärts. Links und rechts fallen die Wiesen ab, der Blick öffnet sich über Rorschach, über die Bucht, hinaus auf den Bodensee. An klaren Tagen siehst du bis nach Deutschland und Österreich rüber. Der See wird kleiner, das Panorama weiter – und du kommst aus dem Staunen kaum raus.

Oben in Heiden angekommen, erwartet dich ein Biedermeier-Dorf wie aus dem Bilderbuch. Nachdem 1838 ein Großbrand fast alles vernichtet hatte, baute man den Ort nach einem einheitlichen Plan wieder auf. Das Ergebnis: Ein Ensemble aus klassizistischen Häusern, das heute unter Denkmalschutz steht. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Heiden zu einem der bekanntesten Kurorte Europas. Die Molkekur war damals der Renner, und wer was auf sich hielt, kam hierher zur Erholung. Auch Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, verbrachte seine letzten Lebensjahre hier oben. Ihm ist heute ein Museum gewidmet.

Von Rheineck nach Walzenhausen – die Zeitreise

Ein paar Kilometer weiter östlich, in Rheineck, wartet die zweite Zahnradbahn. Die Strecke nach Walzenhausen ist kürzer, aber nicht weniger spektakulär. Ursprünglich fuhr hier ab 1896 eine Standseilbahn, die mit Wassergewicht betrieben wurde. 1958 kam dann der große Umbau: Aus der Standseilbahn wurde eine moderne Zahnradbahn. Der Triebwagen, der damals neu war, fährt übrigens heute noch. Über 60 Jahre ist das Ding alt und tut seinen Dienst wie am ersten Tag. So was gibt's nicht mehr oft.

Die Fahrt startet direkt neben dem SBB-Bahnhof Rheineck. Erst geht's ein Stück flach durch die Stadt, dann folgt ein 315 Meter langer Schutztunnel. Dahinter öffnet sich das Hexenkirchlitobel, und die Bahn überquert auf Spannbetonbrücken den Ruederbach. Die Brücken stammen aus der Anfangszeit des Spannbetonbaus in der Schweiz – ein kleines technisches Denkmal also. Fünf bis neun Minuten dauert die Fahrt, je nachdem, wie viele Haltestellen bedient werden. Oben in Walzenhausen angekommen, stehst du auf dem sogenannten Balkon über dem Bodensee. Die Aussicht ist grandios, und wenn du Glück hast, weht eine frische Brise vom See herauf.

Die Rundtour mit Witz

Spannend wird's, wenn du beide Zahnradbahnen kombinierst. Von Rorschach mit der Bergbahn nach Heiden, von dort entweder mit dem Postauto oder zu Fuß nach Walzenhausen, und dann mit der zweiten Zahnradbahn runter nach Rheineck. Zurück nach Rorschach geht's per Schiff über den Alten Rhein – ein Naturschutzgebiet, in dem mit etwas Glück sogar Biber zu sehen sind.

Wer die Strecke zwischen Heiden und Walzenhausen zu Fuß macht, sollte den Witzweg nehmen. Ja, richtig gelesen: Witzweg. Auf rund fünf Kilometern sind hier 40 Tafeln mit Appenzeller Witzen aufgestellt. Der Appenzeller Witz steht übrigens auf der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz und gilt als UNESCO-Kulturerbe. Manche Witze sind herrlich schrägschenklicht, andere eher... nun ja, Geschmackssache. Aber die Kombination aus Wanderung, Panoramablick und humorvollen Zwischenstopps macht den Weg kurzweilig. Bei Wolfhalden gibt's sogar eine Witzchischte – eine Art Witzkasten, in dem gegen kleines Trinkgeld Appenzeller live zwei Witze zum Besten geben. Das ist dann schon sehr speziell, aber genau deshalb charmant.

Nostalgie und Zukunft

Die Appenzeller Bahnen, unter deren Dach beide Zahnradbahnen heute fahren, feiern 2025 ihr 150-jähriges Bestehen. Ein stolzes Alter für ein Bahnunternehmen. Die Geschichte dieser Bahnen ist eng verwoben mit der Industrialisierung der Region. Im 19. Jahrhundert florierte die Textilindustrie, Kurorte wie Heiden zogen europaweit Gäste an, und die Bahnen sorgten für die nötige Anbindung. Ohne sie wäre die Entwicklung der Region kaum vorstellbar gewesen.

Doch die Bahnen ruhen sich nicht auf ihrer Geschichte aus. Ab 2027 soll die Strecke Rheineck-Walzenhausen vollautomatisch betrieben werden – weltweit die erste Überland-Zahnradbahn, die ohne Fahrpersonal auskommt. Das neue Fahrzeug wird mit einem hochmodernen Zugsicherungssystem ausgestattet, das sowohl Adhäsions- als auch Zahnradbetrieb automatisch steuert. Kameras und Sensoren überwachen Strecke, Bahnübergänge und Stationen, eine Leitstelle greift bei Bedarf ein. Der Kostendeckungsgrad liegt bei den Zahnradbahnen aktuell unter 30 Prozent – ein finanzielles Problem, das die Kantone Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen zum Handeln zwang. Die Automatisierung soll Kosten sparen und gleichzeitig die Betriebszeiten ausweiten. Ob das klappt, wird sich zeigen. Spannend ist es allemal.

Praktisches für die Fahrt

Beide Zahnradbahnen fahren ganzjährig nach Fahrplan. Die genauen Abfahrtszeiten findest du auf der Website der Appenzeller Bahnen. Im Sommer werden bei der Rorschach-Heiden-Bahn gelegentlich offene Panoramawagen angehängt – ein besonderes Erlebnis, wenn das Wetter mitspielt. Der Fahrtwind weht dir um die Nase, die Aussicht ist noch direkter, und irgendwie fühlt sich alles noch ein bisschen nostalgischer an.

Die Preise sind moderat. Eine Berg- und Talfahrt kostet rund 10 Franken pro Erwachsenen. Mit der Bodensee Card PLUS ist die Fahrt einmal pro Tag gratis – ein guter Grund, sich die Karte zu besorgen, falls du mehrere Tage in der Region unterwegs bist. Die Bahnen akzeptieren die üblichen Schweizer Fahrausweise wie GA und Halbtax.

Für die Rundtour mit beiden Zahnradbahnen und dem Schiff solltest du etwa drei bis vier Stunden einplanen – je nachdem, wie viel Zeit du dir in Heiden oder Walzenhausen lässt. Beide Orte lohnen einen Zwischenstopp. In Heiden kannst du den Kirchturm besteigen (157 Stufen, aber die Aussicht lohnt), das Henry-Dunant-Museum besuchen oder einfach durch die Biedermeier-Straßen schlendern. In Walzenhausen gibt's ebenfalls nette Spazierwege und Gasthäuser mit regionaler Küche.

Warum diese Fahrt lohnt

Klar, es sind keine riesigen Berge, kein Matterhorn, kein Eiger. Aber genau das macht den Reiz aus. Die Zahnradbahnen der Appenzeller verbinden auf wenigen Kilometern Seeluft und Alpenvorland, Geschichte und Moderne, Nostalgie und Innovation. Sie sind ein Stück lebendige Verkehrsgeschichte, das nicht im Museum steht, sondern täglich Menschen transportiert. Pendler nutzen die Bahnen genauso wie Touristen. Das ist authentisch, das ist echt.

Und dann ist da dieser Moment, wenn du oben auf dem Balkon über dem Bodensee stehst, den See unter dir schimmern siehst, die Appenzeller Hügel rechts und links, vielleicht sogar den Säntis in der Ferne. In solchen Momenten verstehst du, warum die Menschen schon vor über 100 Jahren hierher kamen. Weil es einfach gut tut. Weil der Blick weit wird, der Kopf frei. Weil hier oben die Welt noch ein bisschen langsamer tickt. Und weil eine Zahnradbahn, die sich rattertnd den Berg hochkämpft, etwas hat, das moderne Gondelbahnen nie haben werden: Charakter.

Anreise und Startpunkte

Rorschach ist mit der SBB aus allen Richtungen gut erreichbar. Von Zürich brauchst du rund eine Stunde, von St. Gallen nur zehn Minuten. Der Bahnhof Rorschach liegt direkt am See, der Abzweig zur Zahnradbahn erfolgt kurz danach. Falls du mit dem Auto kommst: Parkplätze gibt's am Hafen, sind aber gebührenpflichtig und je nach Saison schnell belegt. Die Anreise per Bahn ist stressfreier.

Rheineck liegt ebenfalls an der SBB-Strecke Rorschach-Chur. Von dort sind es nur wenige Schritte zur Zahnradbahn. Die Fahrpläne der Zahnradbahnen sind auf den SBB-Takt abgestimmt, Umsteigen klappt meist problemlos. Auch die Schifffahrt auf dem Alten Rhein ist koordiniert – zumindest in der Sommersaison von Mai bis Oktober. Im Winter fährt das Schiff nicht, dann musst du den Rückweg per Bus oder Bahn machen.

Noch ein Wort zur Saison

Die Zahnradbahnen fahren das ganze Jahr. Im Winter kann's oben allerdings richtig kalt werden, und Schnee liegt oft wochenlang. Dann sind die Appenzeller Hügel weiß gezuckert, und die Aussicht hat was Märchenhaftes. Im Frühling und Herbst ist die Luft oft klarer, die Fernsicht besser. Im Sommer dagegen kann's diesig werden, dafür blühen die Wiesen, und die Gasthäuser haben die Terrassen offen. Jede Jahreszeit hat ihren Reiz – du musst nur entscheiden, worauf du Lust hast.

An einem sonnigen Tag im September, wenn der Hochsommer vorbei ist, die Touristenströme nachlassen und das Licht weich über dem See liegt, ist es hier oben besonders schön. Dann sitzt du vielleicht auf einer Bank in Walzenhausen, schaust über den Bodensee, hörst das entfernte Rattern der Zahnradbahn, und denkst: Genau deshalb bin ich hier.

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