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Seeforelle, Felchen & Co.: Ein kulinarisches Portrait der Bodenseefische

Vergiss für einen Moment den Zwiebelrostbraten. Wer am Bodensee wirklich ankommen will, muss sich durch die Speisekarte des Wassers essen und dabei genau hinschauen, was da eigentlich auf dem Teller liegt.

Essen, Trinken & Märkte
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Zwischenablage

Es ist fünf Uhr morgens. Das Wasser liegt bleiern und schwarz vor Überlingen, Konstanz oder Rorschach. Nur das Tuckern der Dieselmotoren durchbricht die Stille, wenn die Berufsfischer hinausfahren. Romantisch sieht das aus, sicher. Für die Männer und wenigen Frauen an Bord ist es aber oft ein frustrierendes Geschäft. Die Netze bleiben häufiger leer, als es den Touristikern lieb ist. Wer hier über Fisch schreibt, darf nicht nur von knuspriger Panade schwärmen, sondern muss auch die Realität benennen: Der Bodensee ist fast zu sauber geworden. Was gut für das Trinkwasser von Millionen Menschen ist, bedeutet für die Fische Diät. Wenig Phosphat heißt wenig Algen, wenig Algen heißen wenig Plankton, und ohne Plankton hungern die Fische.

Trotzdem, oder gerade deshalb, ist das, was noch aus dem Wasser gezogen wird, von exzellenter Qualität. Wildfang ist hier kein leeres Marketingwort, sondern harte Arbeit. Wenn du in einem Restaurant sitzt und auf den See hinausblickst, solltest du wissen, was du bestellst. Denn nicht alles, was nach Bodensee klingt, ist auch jemals darin geschwommen.

Der König in der Krise: Das Blaufelchen

Das Felchen ist der Brot-und-Butter-Fisch der Region. Oder war es zumindest lange Zeit. Biologisch gesehen gehört er zu den Renken, und kulinarisch ist er eine Offenbarung, wenn man feine Strukturen mag. Das Fleisch ist hell, fest und blättrig. Es zerfällt auf der Zunge, ohne mehlig zu wirken. Am besten schmeckt es tatsächlich nicht im Sternerestaurant, sondern geräuchert, direkt aus dem Ofen einer Fischerei-Genossenschaft, noch warm, auf einem simplen Pappteller. Dazu ein Stück dunkles Brot und vielleicht ein Klecks Meerrettich – mehr braucht kein Mensch zum Glücklichsein.

Es gibt verschiedene Arten: Das Blaufelchen, das im Freiwasser schwimmt, und den Gangfisch, der sich eher ufernah aufhält. In den letzten Jahren ist das "Felchen-Essen" aber fast zu einer politischen Handlung geworden. Die Bestände sind dramatisch eingebrochen. Der Stichling, ein kleiner, eigentlich harmloser Fisch, hat sich massenhaft vermehrt und frisst den Felchenlarven das Futter weg oder labt sich direkt an deren Laich. Wenn du also heute ein "Bodenseefelchen" auf der Karte siehst, frag ruhig mal nach. Stammt es wirklich aus dem Netz von heute Morgen? Oder kommt es aus Aquakultur? Letzteres ist nicht per se schlecht, schmeckt aber oft anders – etwas fettreicher, weniger "wild". Ein echtes Wildfang-Felchen hat diesen unverwechselbar klaren Geschmack, der fast ein wenig nach Mineralien schmeckt.

Der Kretzer: Kleiner Fisch, großer Hype

Kommst du aus der Schweiz, bestellst du "Egli". Bist du in Deutschland, verlangst du nach "Kretzer" oder Barsch. Gemeint ist immer derselbe stachelige Geselle mit den roten Flossen und den dunklen Streifen. Kulinarisch gesehen ist der Flussbarsch für viele der heimliche Favorit, noch vor dem edlen Felchen. Warum? Wegen des Geschmacks. Kretzerfilets sind nussig, intensiv und haben einen wunderbaren Biss.

Die klassische Zubereitung ist "Müllerin Art" – in Mehl gewendet und in Butter ausgebraten, bis die Haut Blasen wirft. In der Schweiz werden sie oft als "Egli-Knusperli" serviert, also in Bierteig frittiert. Das klingt profan, ist aber mit einer selbstgemachten Tartarensauce das perfekte Mittagessen nach einer Radtour. Aber Vorsicht: Die Nachfrage nach Kretzerfilets übersteigt das Angebot des Sees bei weitem. Die kleinen Filets sind mühsam zu schneiden, Handarbeit ist teuer. Wenn dir eine riesige Portion für zwölf Euro angeboten wird, kannst du Gift darauf nehmen, dass diese Barsche eher aus osteuropäischen Gewässern oder irischen Seen stammen. Das ist kein Betrug, solange es dransteht, aber geschmacklich oft eine Enttäuschung. Der echte Bodensee-Kretzer ist eine Rarität und kostet entsprechend.

Die Seeforelle: Der Geist des Sees

Sie ist der Mythos unter den Bodenseefischen. Die Seeforelle kann riesig werden, über einen Meter lang und schwer wie ein Kleinkind. Angler verbringen oft Wochen auf dem Wasser, ohne auch nur einen Biss zu bekommen. Wenn sie dann doch eine an der Angel haben, beginnt ein Drill, der zur Legende am Stammtisch wird. Kulinarisch ist die Seeforelle eine Wucht. Ihr Fleisch ist lachsfarben, aber fester und weniger tranig als das ihres marinen Verwandten. Es schmeckt elegant.

Findet man sie auf der Speisekarte? Selten. Meistens landet sie direkt in den Küchen der Einheimischen oder in der gehobenen Gastronomie, die den Fang eines Fischers exklusiv abnimmt. Wenn du das Glück hast, eine Seeforelle im Ganzen oder als Tranche angeboten zu bekommen: Greif zu, egal was der Preis sagt. Es ist ein saisonales Ereignis, kein Standardgericht. Die Zubereitung sollte minimalistisch sein. Ein bisschen Zitrone, Salz, gute Butter. Wer so einen Fisch in Sahnesauce ertränkt, gehört eigentlich mit Angelverbot bestraft.

Vom Hecht und den verfluchten Y-Gräten

Der Hecht ist der Raubfisch schlechthin im See. Er lauert im Schilf, schießt hervor und schnappt sich alles, was sich bewegt. Sein Fleisch ist mager, trocken und eigentlich sehr schmackhaft – gäbe es da nicht dieses eine, nervtötende Problem: die Y-Gräten. Diese feinen Knochen sitzen so tückisch im Fleisch, dass man sie kaum alle entfernen kann, ohne das Filet zu zerfleddern.

Die lokale Küche hat dafür aber eine geniale Lösung gefunden: Hechtklößchen. Das Fleisch wird durch den Wolf gedreht, wodurch die Gräten zerkleinert werden und nicht mehr stören. Mit Sahne und Eiweiß aufmontiert, entstehen daraus luftige Nocken, die oft in einer Riesling-Sauce schwimmen. Es ist ein Gericht der alten Schule, ein bisschen bürgerlich, ein bisschen schwer, aber unglaublich gut an einem kühlen Herbsttag. Manche Köche haben auch das "Grätenschneiden" perfektioniert – eine Technik, bei der die Gräten so fein eingeschnitten werden, dass man sie beim Essen nicht mehr spürt. Das ist hohe Handwerkskunst.

Saibling und Weissfische: Die Unterschätzten

Der Seesaibling führt oft ein Schattendasein neben der Forelle, dabei ist er vielleicht der feinste aller Salmoniden im See. Er liebt das kalte, tiefe Wasser. Sein Fleisch ist zartrosa und von einer fast buttrigen Konsistenz. Geräuchert ist er eine Delikatesse, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Und dann gibt es da noch die "Weißfische" – Brachsen, Rotaugen. Früher Arme-Leute-Essen, heute fast verschwunden von den Tellern, weil niemand mehr Lust hat, Gräten zu puhlen. Dabei ist das Fleisch der Brachse saftig und aromatisch. Einige innovative Köche und Fischer versuchen, diese Arten wiederzubeleben, oft als Fischfrikadellen oder sauer eingelegt wie Brathering. Das ist ehrliche Küche, "Nose to Tail" quasi, nur eben unter Wasser. Wer mutig ist und Authentizität sucht, bestellt sauer eingelegte Rotaugen.

Wo und wie man isst

Verabschiede dich von der Idee, dass das beste Fischrestaurant das mit den weißen Tischdecken und dem livrierten Kellner ist. Oft sind es die unscheinbaren Hütten direkt an den Anlegestellen, wo es am besten schmeckt. In Reichenau, auf der Höri oder in den kleinen Häfen am Schweizer Ufer gibt es oft Kioske, die von den Fischereibetrieben selbst geführt werden. Dort bekommst du "Fischbrötchen", die nichts mit der norddeutschen Variante zu tun haben.

Es ist ein haptisches Erlebnis: Das Brötchen ist knusprig, der Fisch noch warm vom Räuchern, und du sitzt auf einer wackeligen Holzbank, während die Möwen – oder "Möven", wie man hier manchmal schreibt – gierig auf Krümel lauern. Ein lokaler Tipp: Achte auf das Zertifikat "Echt Bodenseefisch" oder ähnliche Siegel. Die Gastronomen hier wissen um die Problematik der Importware und kennzeichnen mittlerweile sehr transparent.

Ein Wort zur Saison

Fisch isst man hier nicht das ganze Jahr über gleich. Im Sommer dominiert der Kretzer, im Frühjahr und Herbst sind die Felchen und Forellen präsenter. Und im Winter? Da ist Schonzeit für viele Arten. Wer im Januar frische Felchenfilets erwartet, hat das Prinzip der Natur nicht verstanden. Dann ist Zeit für Geräuchertes oder für die eingelagerten Bestände. Es gehört zum guten Ton, sich nach dem Fang des Tages zu erkundigen, statt stur auf die Karte zu pochen. Der See ist kein Supermarkt, und genau das macht seinen Reiz aus.

Der Wein zum Fisch

Man kann über Bodenseefisch nicht schreiben, ohne den Wein zu erwähnen. Die Reben wachsen oft nur wenige Meter vom Wasser entfernt, etwa in Meersburg oder Hagnau. Ein Müller-Thurgau vom See ist oft spritzig, leicht und hat eine unaufdringliche Säure – genau das, was diese feinen Süßwasserfische brauchen. Ein schwerer Chardonnay aus dem Eichenfass würde das zarte Aroma eines Felchens gnadenlos erschlagen. Trink den lokalen Müller-Thurgau oder einen Weißburgunder. Die Einheimischen tun es auch, und die wissen meistens, warum.

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